Pressefreiheit in der Türkei : Wie Erdogan einen deutschen Journalisten mundtot macht
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Bisher nur Ausweisungen, keine Verhaftungen
Eines aber hatten die bisherigen Fälle gemeinsam: Ausländische Journalisten wurden ausgewiesen, nicht verhaftet. Frederike Geerding war zwar ebenfalls kurz in Polizeigewahrsam und wurde sogar angeklagt, kam aber frei. Somit trifft Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, den Kern der Sache, wenn er sagt, es habe zwar schon vorher Ausweisungen und Einreisesperren von Auslandskorrespondenten gegeben, doch der Fall Yücel habe „eine neue Qualität“.
Da Yücel auch türkischer Staatsbürger ist, behandeln ihn die Behörden in der Türkei nun nur als solchen. Komplizierter wird der Fall dadurch, dass Yücel offenbar ohne Akkreditierung in der Türkei arbeitete. Auch ihm war sie im vergangenen Jahr verweigert worden. Als türkischer Bürger konnte er aber trotzdem im Lande bleiben. Das war angesichts der Verfolgungen von Journalisten mutig.
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Soweit bisher bekannt, hat Yücel am oder bald nach dem 25. Dezember vergangenen Jahres auf dem Gelände der Kulturakademie in Tarabya Zuflucht gesucht und gefunden. Die Akademie liegt auf dem Gelände der Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Istanbul. Dort war Yücel vor dem Zugriff der türkischen Behörden sicher – und gefangen.
Wer sich nach ihm erkundigte, bekam über Umwege aus dem Hause Springer sinngemäß zu hören, dass man über seinen Fall bitte keinesfalls berichten solle, um die Suche nach einer Lösung nicht zu gefährden. Selbstverständlich haben sich alle Informierten daran gehalten. Da alle Journalisten in der Türkei mit guten Gründen vermuten, dass sie abgehört werden, wurden Gespräche über den Fall stets nur in Umschreibungen geführt, sobald mindestens einer der Beteiligten über eine türkische Leitung sprach. Yücels Name wurde nicht genannt, es war stattdessen nur von „der Angelegenheit“ oder „dem Fall Ypsilon“ die Rede.
Parallelen zum Fall Assange
Eingeweihte verstanden aber durchaus, was Angela Merkel meinte, als sie unlängst bei ihrem Besuch in Ankara sagte, sie habe mit Erdogan „sehr ausführlich“ gesprochen über Pressefreiheit, die Akkreditierung deutscher Journalisten und „verschiedene Fälle, wo wir uns auch durchaus Sorgen machen“. Die größte Sorge war der Fall Ypsilon.
Am vergangenen Freitag hat sich die „Welt“ nun dazu entschlossen, den Fall öffentlich zu machen. In den Wochen zuvor, als Yücel sich noch in Tarabya aufhielt, hatte die Angelegenheit an den Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange erinnert, der sich seit Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhält. Ankara behauptet, es sei völkerrechtlich unzulässig, dass sich ein türkischer Staatsbürger dem Zugriff der einheimischen Justiz entziehe, indem er sich auf das Gelände einer Botschaft flüchte.
„Uns ist bekannt, dass sich der Türkei-Korrespondent der ‚Welt‘, Deniz Yücel, seit Dienstag wegen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in Istanbul in Polizeigewahrsam befindet“, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Freitag vergangener Woche in Berlin mit. „Wir setzen darauf, dass in dem laufenden Ermittlungsverfahren der türkischen Behörden gegen Herrn Yücel rechtsstaatliche Regeln beachtet und eingehalten werden und er fair behandelt wird, gerade mit Blick auf die auch in der Türkei verfassungsrechtlich verankerte Pressefreiheit.“
Doch was für eine Justiz ist es, vor der Yücel fliehen musste und der er sich dann, angesichts eines womöglich jahrelangen Ausharrens in Tarabya, am vergangenen Dienstag doch stellte? Das, was man den „Rechtsweg“ nennt, ist in der Türkei mit Unrecht gepflastert. Und auch für die deutsch-türkischen Beziehungen ist das „von neuer Qualität“.