Baerbocks Besuch in London : Die Schadensbegrenzung muss warten
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Außenministerin Annalena Baerbock steigt am 9. Dezember 2022 am Flughafen von Dublin in den Airbus der Flugbereitschaft der Bundeswehr. Bild: dpa
Eigentlich wollten sich die deutsche Außenministerin und ihr britischer Kollege viel Zeit für ihre Gespräche nehmen. Doch ein Wintereinbruch in Dublin bringt ihre Pläne durcheinander – statt nach London fliegt Baerbock zurück nach Berlin.
Die deutsche Außenministerin wollte sich am Freitag ausführlich Zeit nehmen für das erste Grundsatzgespräch mit ihrem britischen Kollegen. Annalena Baerbock und James Cleverly sind einander schon vor einem Monat in Münster begegnet, wo Baerbock das Außenministertreffen der G-7-Staaten ausrichtete. Dort lagen während zweier Tage alle Krisen und Konflikte der Welt auf dem Besprechungstisch.
Nun, bei ihrer ersten Begegnung in London, sollte es vorrangig um Deutsch-Britisches gehen, um Großbritannien und die Europäische Union und um gemeinsames Handeln im Rest der Welt. Das Ganze war in neuem Rahmen geplant – einem „strategischen Dialog“, der nach dem britischen Austritt aus der Europäischen Union notwendig wurde, da die Briten an den außenpolitischen Formaten der EU ja nicht länger beteiligt sind.
Dann aber brachte am Freitag ein Wintereinbruch mit Schneefall die Pläne der beiden Außenminister durcheinander. Baerbock musste am Flughafen in Dublin, wo sie sich bei einem Besuch zuvor über den Friedensprozess in Nordirland informiert hatte, stundenlang auf die Enteisung ihres Flugzeugs warten.
Am Abend wurde das Treffen in London schließlich abgesagt, Baerbock flog direkt zurück nach Berlin. Sie sagte, sie sei „sehr traurig“ über diese Entscheidung, die sie gemeinsam mit Cleverly getroffen habe. „Aber gegen höhere Gewalt kann man nichts tun – und gegen unerwartetes Eis und Schnee in Dublin schon gar nicht.“
Hoffnung auf funktionierende Kompromisse
Es sei gut, dass Cleverly und sie in den vergangenen Monaten ohnehin in einem „sehr engen und auch persönlich vertrauensvollen Austausch“ gestanden hätten, äußerte die Außenministerin. Sie kündigte an, ihren Besuch in Großbritannien so schnell wie möglich zu wiederholen. An die 72. Königswinter-Konferenz zwischen Vertretern Deutschlands und Großbritanniens in London wollte Baerbock eine Videobotschaft senden. Eigentlich war ihre Teilnahme geplant gewesen.
Auf der Agenda, die sich Cleverly und Baerbock vorgenommen hatten, bevor das Winterwetter ihre Pläne durchkreuzte, dominierte noch immer die Schadensbegrenzung – sechs Jahre nach der Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen. Das gilt für den Umgang mit dem sogenannten Nordirlandprotokoll, welches vielfältige Sonderregeln für den irischen Norden vorsieht, der einerseits im EU-Binnenmarkt bleiben soll, um eine Zollgrenze auf der irischen Insel zu vermeiden, andererseits aber zum aus der EU ausgetretenen Vereinigten Königreich gehört.
Während dem deutschen Eindruck nach die früheren konservativen Premierminister Boris Johnson und Liz Truss darauf zielten, das Protokoll gänzlich loszuwerden oder es durch Missachtung obsolet zu machen, besteht nun Hoffnung, mit der neuen britischen Regierung funktionierende Kompromisse zu finden. Ohnehin, das macht die deutsche Seite immer deutlich, müssten diese Regeln zwischen London und Brüssel verhandelt werden; britische Spekulationen, mit Berlin womöglich vorteilhaftere Vorabsprachen treffen zu können, seien illusorisch.
Eine Chance für den Ausbau der Zusammenarbeit
In seiner ersten außenpolitischen Rede hatte der britische Premierminister Rishi Sunak unlängst den strategischen Dialog mit Deutschland nicht erwähnt, aber doch einige Betonung auf eine „reifere Zusammenarbeit“ mit den Staaten der EU angekündigt. Die beiden Felder, die er hervorhob, waren die „illegale Migration“ und „strategische Verwundbarkeiten“. Diese, vor allem die Bedrohungen durch Russland und China, wurden am Freitag auch auf der Königswinter-Konferenz in London diskutiert.
Im britischen Außenministerium wurde in der Begegnung Cleverlys und Baerbocks eine Chance gesehen, „die Zusammenarbeit jenseits des Brexit-Streits auszubauen“. Gewisse Hoffnungen richteten sich auch darauf, dass Cleverly ein wärmeres Verhältnis mit Baerbock entwickeln könne, als dies mit Außenministerin Liz Truss möglich gewesen sei. In London wird genau beobachtet, wie sich die deutsche „Zeitenwende“ entwickelt. Der anfänglichen Begeisterung über die angekündigte Zäsur in sicherheitspolitischen Bereichen, insbesondere über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben, folgten auch Phasen der Ernüchterung. In ihrer Russlandpolitik sieht sich die britische Regierung oft näher an den Ländern Nord- und Osteuropas, welche eine harte Gangart gegenüber Moskau fordern, als an den Regierungen in Berlin und Paris.
Aber die Brexit-Nachwehen belasten das Verhältnis weiterhin. Die britische Regierung hat derzeit kein Interesse, den ungelösten Konflikt um das Nordirlandprotokoll prominent zu behandeln. Innenpolitisch ist die Regierung auf die Bewältigung der Wirtschaftskrise und der Schwierigkeiten im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) konzentriert. Auch außenpolitisch hat man andere Prioritäten. Aber das Thema kommt schon deshalb immer wieder zurück, weil die Regierung in Washington eine Lösung verlangt. Im Foreign Office glaubt man aber nicht, dass es im nächsten Jahr zu einer Beilegung des Konflikts kommen wird.
Erst 2024 stehen Unterhauswahlen an, aus denen eine Labour-Regierung hervorgehen könnte. Labour-Chef Keir Starmer hat sich zwar kürzlich, so wie auch Sunak, gegen einen Wiedereintritt in den EU-Binnenmarkt ausgesprochen, aber viele glauben, er würde die Post-Brexit-Verhandlungen mit Brüssel versöhnlicher führen. Auch hoffen einige, er könnte nach einem Regierungswechsel doch noch Türen nach Brüssel öffnen. Schließlich hatte er gesagt, eine Wiederannäherung sei „in dieser Phase“ nicht der richtige Weg.