Reformdebatte : Baerbock rückt von Konvent für EU-Vertragsänderungen ab
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Annalena Baerbock am 3. Juni in Berlin Bild: Reuters
Außenministerin Annalena Baerbock hält einen Konvent für ein veraltetes Rezept. Sie geht damit auf Distanz zum Koalitionsvertrag – und zu ihren europäischen Parteifreunden.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht ein ambitionierter Satz zu Europa. Die drei Partner unterstützen Vertragsänderungen, deshalb soll die Konferenz zur Zukunft Europas „in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen“. Europapolitiker waren sehr stolz auf diese Passage, die sie selbst in den Verhandlungen durchgesetzt hatten. Nun aber folgt die kalte Dusche. „Ich halte nichts davon, Rezepte von vor zwanzig Jahren einfach wieder aus der Schublade zu holen“, ließ Außenministerin Annalena Baerbock am Montag wissen, als sie nach einem Konvent gefragt wurde. Das sei bloß eine Möglichkeit, es gebe viele andere Vorschläge.
Für ihren Parteikollegen Daniel Freund war das eine ziemlich verstörende Ansage. „Den Bürgern ist in der Konferenz immer wieder gesagt worden, dass Änderungen unter den aktuellen Verträgen nicht möglich sind, dies hat zu einer erheblichen Frustration geführt“, sagt der Europaabgeordnete, der die europäischen Grünen im Exekutivausschuss der Zukunftskonferenz vertreten hat. Das Argument, ein Konvent sei als Mittel überholt, leuchtet ihm nicht ein: „Wir orientieren uns an dem Verfahren, das im Vertrag vorgeschrieben ist.“ Das stimmt. Die proeuropäischen Fraktionen im Parlament haben dieses Verfahren gemäß Artikel 48 gerade aktiviert – und dies als „historischen Schritt“ gefeiert. Der Ball liegt nun bei den Mitgliedstaaten. Am Dienstag berieten erstmals ihre Europaminister in Luxemburg über die Ergebnisse der Konferenz. Am Freitag werden sich die Staats- und Regierungschefs austauschen. Nur sie können einen Konvent einberufen, die einfache Mehrheit reicht.
Erst einmal auf das Machbare konzentrieren
Davon sind sie jedoch weit entfernt. Dreizehn Länder haben sich schon Anfang Mai gegen „übereilte“ Versuche ausgesprochen, einen Konvent einzuberufen. Darunter waren fast alle östlichen Staaten, außerdem Dänemark, Finnland und Schweden. Nur sieben Staaten zeigten sich offen für Vertragsänderungen: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Benelux. Freund und andere Europaabgeordnete hatten darauf gesetzt, dass diese Regierungen – immerhin alle Gründungsmitglieder und die politischen Schwergewichte der Union – ihr Gewicht in die Waagschale werfen. Tatsächlich haben das aber nur der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi getan. Die Bundesregierung sprach sich lediglich dafür aus, die Einstimmigkeit in der Außenpolitik abzuschaffen. Dafür ist freilich kein Konvent nötig, wie intern erläutert wurde. Tatsächlich sieht Artikel 48 in diesem Fall ein vereinfachtes Änderungsverfahren vor: Die Staaten können im Konsens beschließen, künftig mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen.
Dieses Anliegen hatte auch schon die vorige Bundesregierung verfolgt, es entspricht der institutionellen Perspektive des Auswärtigen Amtes. An einer Stärkung des Europäischen Parlaments – dem Anliegen der Europaabgeordneten – besteht dort kein gehobenes Interesse, ebenso wenig an einer Verschiebung von Kompetenzen, etwa in der Gesundheitspolitik, nach Brüssel. Die grüne Ministerin hat diese Perspektive übernommen. Ihre Staatsministerin für Europa, Anna Lührmann, ebenfalls von den Grünen, versuchte diesen Eindruck am Dienstag zwar wieder etwas zu zerstreuen. Sie warb vor und hinter den Türen des Rats für „institutionelle Reformen“ und sagte auch, dass ein Konvent „grundsätzlich dafür ein gutes Instrument ist“. Allerdings hob auch sie hervor, dass man sich nun erst einmal auf das Machbare konzentrieren solle.
Das beschrieb den Konsens – und daran dürfte sich so bald nichts ändern. Denn die Gegner von Reformen werden bei ihrer Haltung bleiben, und die anderen Staaten sind nicht bereit, politisches Kapital dafür einzusetzen. Im Grunde fürchten beide Seiten neue Referenden, die sie im Fall von Vertragsänderungen abhalten müssten – das ging schon 2005, nach dem ersten Konvent, in Frankreich und den Niederlanden schief, also in zwei Gründerländern.