Baerbock in der Ukraine : „Niemand darf glauben, Verbrechen ohne Konsequenzen begehen zu können“
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Gedenken in Butscha: Annalena Baerbock in der Kirche, vor der ein Massengrab angelegt worden ist. Bild: EPA
Die deutsche Außenministerin zeigt sich bei ihrem Besuch in Butscha und Irpin erschüttert. Sie sagt der Ukraine weitere Unterstützung zu ihrer Verteidigung zu.
Außenministerin Annalena Baerbock hat am Dienstag als erstes Mitglied der Bundesregierung seit dem russischen Überfall die Ukraine besucht. In Kiew kündigte sie die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft an. Die letzten deutschen Diplomaten waren am 25. Februar, einen Tag nach Kriegsbeginn, aus der Ukraine ausgereist. Die Botschaft sollte mit einer Minimalbesetzung noch am Dienstag den Betrieb wiederaufnehmen. Während eines Teils ihres Besuches wurde Baerbock vom niederländischen Außenminister Wopke Hoekstra begleitet. Gemeinsam mit Baerbock sei er am Morgen in Kiew eingetroffen, schrieb Hoekstra auf Twitter.
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba sagte Baerbock, Deutschland werde „die europäische, freie Ukraine weiter unterstützen. Humanitär, finanziell, wirtschaftlich, technologisch, politisch und in Energiefragen.“ In wenigen Tagen werde zudem die Ausbildung ukrainischer Soldaten an der modernen Panzerhaubitze 2000 beginnen, die Deutschland und die Niederlande die Ukraine liefern wollen. Mit deutschen Unternehmen arbeite man daran, dass die Ukraine „hochmoderne Systeme bekommen kann, um ihre Städte auch gegen zukünftige Angriffe zu schützen“.
„Es kann an jedem Ort eine Rakete einschlagen“
Vor dem Treffen mit Kuleba hatte Baerbock die Kiewer Vororte Irpin und Butscha besucht, in denen die russischen Truppen bis zu ihrem Abzug Ende März schwere Kriegsverbrechen verübt haben. Butscha sei zu einem Symbol geworden „für unvorstellbare Verbrechen, für Folter, Vergewaltigung, Mord“, schrieb Baerbock auf Twitter. In Butscha haben russische Truppen nach derzeitigem Stand der Ermittlungen in etwas mehr als einem Monat Besatzung mehr als 400 Zivilisten ermordet.
Die Außenministerin wurde in Butscha von der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenedyktowa begleitet. Baerbock sagte der Ukraine politische, finanzielle und personelle Unterstützung Deutschlands bei dem Versuch zu, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Es sei wichtig, dass die internationale Gemeinschaft Beweise zu den „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sammele. „Die Willkür macht fassungslos. Wir können den Überlebenden den Schmerz nicht nehmen, aber wir können alles dafür tun, für Gerechtigkeit zu sorgen: Niemand darf glauben, Verbrechen ohne Konsequenzen begehen zu können.“
Baerbock sagte in der ukrainischen Hauptstadt, zwar sei Kiew eine freie Stadt. Aber der Krieg sei nicht vorbei. „Es kann eben an jedem Ort dieses Landes eine Rakete einschlagen.“ Am Montagabend hatte Russland Odessa mit Raketen angegriffen, als sich dort EU-Ratspräsident Charles Michel der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmyhal aufhielten. „Das ist das wahre Verhältnis Russlands zu Europa, was immer auch in Moskau gesagt wird“, kommentierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Vorfall. Bei dem Beschuss eines Einkaufszentrums und eines Lagers mit Waren des täglichen Bedarfs wurde ein Mensch getötet.
Im Donbass „viel Bewegung vorwärts und zurück“
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat sich in einem Interview mit der „Financial Times“ zu den Kriegszielen Kiews geäußert. In den ersten Monaten wäre es für die Ukraine ein Sieg gewesen, so Kuleba, wenn sich die russischen Truppen auf ihre Positionen vor dem Angriff am 24. Februar zurückgezogen hätten. Falls die Ukraine nun militärisch stark genug sei, „dann ist ein Sieg in diesem Krieg für uns zweifellos die Befreiung unserer übrigen Gebiete“.
Im Donbass dauern unterdessen vor allem im Gebiet Luhansk heftige Kämpfe an. Nach Angaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums vom Montagabend ist in der Region „viel Bewegung vorwärts und zurück“ zu beobachten. Es gebe Städte und Dörfer, die im Laufe eines Tages von Hand zu Hand gingen, sagte ein Sprecher. Die russischen Truppen bewegten sich sehr langsam und ungleichmäßig voran.
Der Chef der Zivilverwaltung des Gebiets, Serhij Hajdaj, teilte am Dienstag mit, den ukrainischen Truppen sei es gelungen, eine Pontonbrücke der russischen Streitkräfte über den Fluss Siwerskij Donez zu zerstören und die russischen Truppen aus der Ortschaft Bilohoriwka am der ukrainisch kontrollierten Flussufer zu vertreiben. Das russische Verteidigungsministerium meldete, bei Popasna sei ein Durchbruch durch die ukrainischen Verteidigungsstellungen gelungen. In den Ruinen des Stahlwerks Asowstal in Mariupol halten sich nach Angaben der stellvertretenden ukrainischen Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk noch etwa Tausend ukrainische Soldaten, von denen einige Hundert verwundet seien.