Australiens Waffengesetze : Ein Trauma mit Heilungseffekt
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Im Rahmen einer Amnestie wurden der australischen Polizei im Oktober Tausende Waffen übergeben. Bild: AFP
Ein Massaker mit 35 Toten versetzte Australien vor zwei Jahrzehnten in eine Schockstarre – und führte in der Folge zu einer radikalen Verschärfung der Waffengesetze. Taugt das Land zu einem Vorbild für Amerika?
Für die Australier war das Massaker von Port Arthur ein traumatisches Erlebnis. Im April 1996 hatte ein geistig behinderter Täter insgesamt 35 Menschen getötet, 23 wurden verletzt. Bei seinem mehrstündigen Amoklauf durch den Südosten des Inselbundesstaats Tasmanien setzte der damals 28 Jahre alte Martin Bryant mehrere Schusswaffen ein, darunter halbautomatische Gewehre. Er hinterließ unter anderem in einer ehemaligen Sträflingskolonie und heutigen Touristenattraktion eine Spur aus Blut. Der Schock führte in kürzester Zeit zu einer Verschärfung der Waffengesetze durch die Regierung des damaligen konservativen Premierministers John Howard.
Wenn es in Amerika wie jetzt wieder in Las Vegas zu einer Massenschießerei mit vielen Toten kommt, wird deshalb oft Australien als Vorbild herangezogen, um den positiven Effekt verschärfter Waffengesetze zu untermauern. Tatsächlich hat es „down under“ in den mehr als 20 Jahren nach Port Arthur keine Tat in dieser Größenordnung mehr gegeben. Studien belegen, dass die Zahl der Massenmorde sowie der Morde insgesamt seit der Einführung strengerer Waffengesetze abgenommen hat. Auch die in Australien traditionell hohe Selbstmordrate ist gesunken.
„Was wir tun können, ist unsere Erfahrungen zu teilen“
Selbst viele konservative Australier sehen deshalb mit einigem Unverständnis auf die lockeren Gesetze, die nach wie vor innerhalb der Grenzen des wichtigsten Verbündeten jenseits des Pazifiks gelten. „Das, was wir tun können, ist unsere Erfahrungen zu teilen“, sagte Außenministerin Julie Bishop in einem Interview nach der Tat von Las Vegas. Tatsächlich waren die Verhältnisse in Australien zu Beginn der Kolonialzeit denen in Amerika wohl nicht ganz unähnlich. Vor allem in der harschen Umgebung des australischen Outbacks gehörten Schusswaffen zur Selbstverteidigung und zur Jagd einfach dazu.
Doch seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wuchs mit zunehmender Kriminalität auch die Kritik an dem verbreiteten Waffenbesitz. Der eigentliche Wendepunkt aber kam mit dem Massaker in Port Arthur. Nur 12 Tage nach dem Massaker wurden landesweit einheitliche Regeln erlassen, die ein vollständiges Verbot von vollautomatischen und halbautomatischen Schnellfeuergewehren, Schrotflinten und „Pumpguns“ und strenge Kontrollen für alle anderen Waffen einführten. Im Zuge eines Rückkaufprogramms trennten sich die Australier außerdem auf einen Schlag von etwa 660.000 Schusswaffen.
Finanziert wurde dies damals mit einer kleinen Steuererhöhung. Auch die Waffengesetze sehen in Australien seither deutlich anders aus. Wer Schusswaffen besitzen möchte, muss einen Sicherheitskurs belegt haben und einen „genuinen“ Grund haben, der den Besitz einer Waffe rechtfertigt, wie etwa Sportschießen, die Jagd oder Anforderungen aus beruflichen Gründen. Die Lizenz zum Waffenbesitz muss außerdem alle fünf Jahre erneuert und kann bei Bedenken leicht wieder entzogen werden. Jede Waffe muss einzeln registriert und in einem Safe aufbewahrt werden. Eine neue Waffe kann erst nach einer 28 Tage langen Wartezeit erworben werden.
Die positiven Folgen auf die Mord- und sogar die Selbstmordrate wurde seither in vielen Studien belegt. Zuallererst hat es kein einziges „mass shooting“ mit mehr als vier Opfern gegeben. Dagegen waren es in dem Zeitraum zwischen 1979 und 1996 noch dreizehn solcher Massenmorde gewesen. Nach Angaben der Fachleute ist auch die Zahl der durch Schusswaffen Getöteten dramatisch zurückgegangen. Eine Studie sprach von 42 Prozent weniger Mordfällen und 57 Prozent weniger Selbstmorden mit Schusswaffengebrauch bis zum Jahr 2011. Andere Untersuchungen kamen zu mindestens ebenso deutlichen Ergebnissen.
Dabei sind die Australier auch die ersten, die mögliche Zweifel an ihren Errungenschaften einräumen würden. So ist nachzuweisen, dass der Trend bei Morden und Selbstmorden ohnehin rückläufig war, weshalb einige der Meinung sind, dass ein Zusammenhang mit den Waffengesetzen nicht eindeutig festzustellen ist. Zudem verweisen die Australier auch oft selbst auf die Unterschiede zu Amerika, allein schon aufgrund der dort insgesamt deutlich höheren Zahl an Waffen und auch der ohnehin niedrigeren Mordrate in Australien.
Nach Schießerei : Waffentouristen strömen weiter nach Las Vegas
„Unsere Herausforderungen waren anders als die Amerikas“, schrieb denn auch der frühere Premierminister Howard schon im Jahr 2013 in einem Meinungsbeitrag für die „New York Times“, als er wie so oft nach einem Massaker auf amerikanischem Boden nach seinen Erfahrungen aus den neunziger Jahren gefragt worden war. Die Waffenlobby sei nicht ganz so stark und einflussreich wie in den Vereinigten Staaten, und das Recht auf Waffenbesitz sei auch nicht in der Verfassung verankert, schrieb Howard.
Einfach sei es dennoch nicht gewesen, die Gesetze damals durchzusetzen, berichtete der frühere Premierminister weiter. Vor allem vom Land kam der Widerstand und aus den Reihen langjähriger Unterstützer seiner Partei. Heute gebe es in Australien aber einen breiten Konsens, dass die Gesetze die Zahl der Morde und Selbstmorde mit Hilfe von Schusswaffen verringert hätten. Dabei wirkt der „heilsame“ Schock von Port Arthur auch jetzt noch nach. Bei einer jüngsten Amnestie für ungewollte und nicht registrierte Schusswaffen wurden in den vergangenen Wochen Tausende Gewehre und Pistolen abgegeben.