Kundus : „Luftangriff auf Krankenhaus war ein Versagen“
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Innenaufnahme aus dem beschossenen Krankenhaus Bild: Friederike Böge
30 Menschen starben, als die Amerikaner ein Krankenhaus in Kundus bombardierten. Ein Untersuchungsbericht benennt nun den Grund – und das eigentliche Ziel.
Der amerikanische Luftangriff auf ein Krankenhaus Anfang Oktober im nordafghanischen Kundus mit mehr als 30 Toten ist das Ergebnis „menschlichen Versagens“. Das erklärte der Kommandeur der amerikanischen Truppen in Afghanistan, General John Campbell, am Mittwoch bei der Vorstellung der Ergebnisse eines 3000 Seiten langen Untersuchungsberichts des Pentagons, der nur in Teilen veröffentlicht werden soll.
Demnach war nicht das Krankenhaus, sondern der einige hundert Meter entfernte Sitz des afghanischen Geheimdienstes in Kundus das Ziel des Luftangriffs. Dort hatten sich Taliban-Kämpfer verschanzt. Campbell sprach von einem „tragischen und vermeidbaren Fehler“, der in erster Linie „durch menschliches Versagen verursacht wurde“.
Aufgrund von technischen Schwierigkeiten erfolgte der Beschuss durch ein AC-130-Kampfflugzeug demnach allein auf der Basis visueller Beschreibungen des Ziels durch Soldaten einer amerikanischen Spezialeinheit am Boden. Ein Sprecher des amerikanischen Militärs in Kabul sagte, die Einsatzregeln seien nicht eingehalten worden. Einige der an der Operation beteiligten Personen wurden laut Cambell vom Dienst suspendiert; für mögliche Disziplinarverfahren sei das Kommando Spezialkräfte zuständig.
Sicherheitsprobleme und Menschenrechtsverletzungen
Unterdessen stellt eine vertrauliche Einschätzung des Auswärtigen Amtes über die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan die Absicht der Bundesregierung in Frage, Flüchtlinge vom Hindukusch wieder verstärkt in ihre Heimat abzuschieben.
Nach Informationen des NDR-Rundfunks hält das Außenministerium in dem als Verschlusssache eingestuften Bericht über die „asyl-und abschieberelevante Lage“ große Sicherheitsprobleme und massive Menschenrechtsverletzungen fest. Der Bericht dient deutschen Behörden und Verwaltungsgerichten als Grundlage für ihre Abschiebepraxis.
In dem Papier heiße es, das staatliche Gewaltmonopol werde von Aufständischen und Milizen „in vielen Landesteilen herausgefordert“. Die größte Bedrohung für die Bürger „geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren“ aus. Die Zentralregierung in Kabul habe auf viele dieser Personen kaum Einfluss und könne sie nur begrenzt kontrollieren beziehungsweise ihre Taten untersuchen oder verurteilen.
Gewalt gegen Mädchen und Frauen
Die Zahl ziviler Opfer durch Anschläge und Kämpfe habe mit etwa 1600 allein im ersten Halbjahr 2015 den höchsten Wert seit dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001. Weiter heiße es in dem Bericht, die Rechte von Frauen seien trotz erheblicher Verbesserungen seit 2001 schwer zu garantieren. „Traditionell diskriminierende Praktiken und Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter. Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet.“
Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen fänden vor allem in der Familie statt, aber auch am Arbeitsplatz. In der Strafverfolgung funktionierten Verwaltung und Justiz nur sehr eingeschränkt. Einflussnahme und Bestechung verhinderten Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems.
Die Spitzen der großen Koalition hatten sich zuletzt darauf verständigt, zur „Schaffung und Verbesserung innerstaatlicher Fluchtalternativen“ in Afghanistan beizutragen und „vor diesem Hintergrund die Entscheidungsgrundlagen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“ zu überarbeiten und anzupassen. Dies ermögliche auch eine Intensivierung der Rückführungen, hieß es in der Vereinbarung der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD.
Keinerlei militärische Rechtfertigung
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die den Vorfall als Kriegsverbrechen bezeichnete hatte, beharrte auf einer unabhängigen Untersuchung. Der Bericht werfe mehr Fragen auf, als er beantworte. „Es ist schockierend, dass ein Angriff erfolgen kann, wenn die amerikanischen Streitkräfte weder das Ziel sehen noch eine Nichtangriffsliste vorliegen haben und die Kommunikationssysteme nicht funktionieren“, heißt es in einem Statement.
Es habe den Anschein, dass 30 Menschen sterben mussten und Hunderttausenden lebenswichtige Behandlungen unmöglich gemacht wurden, nur weil das Krankenhaus das nächste größere Gebäude zu einer größeren Freifläche war und ungefähr der Beschreibung eines beabsichtigten Angriffszieles entsprach. Es habe keinerlei militärische Rechtfertigung für den Beschuss gegeben, es hätten sich keine Kämpfer in dem Gebäude aufgehalten. Die Vereinigten Staaten wollten eigentlich ein anderes, von den Taliban besetztes Gebäude, treffen.