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Freie Meinung unerwünscht : China sperrt die App Clubhouse

Schluss mit Debatten: Clubhouse wurde in China gesperrt. Bild: Reuters

In der App Clubhouse konnten sich Chinesen plötzlich ungewohnt frei äußern. Sie sprachen mit Uiguren und über Taiwan und Hongkong. Jetzt ist Schluss damit. Das war abzusehen.

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          Es kommt nicht häufig vor, dass Han-Chinesen und Uiguren einander offen und ehrlich ihre Sicht über die Lage in Xinjiang erzählen. Oder dass Chinesen mit Taiwanern respektvoll und geduldig über das Tiananmen-Massaker von 1989 und seine Folgen diskutieren. Beides hat in den vergangenen Tagen in den moderierten Chat-Räumen der amerikanischen App Clubhouse stattgefunden. Anschließend sprachen viele Teilnehmer von einem wertvollen, aber flüchtigen Moment. Sie behielten Recht: Im Laufe des Montags wurde „Clubhouse“ im chinesischen Internet gesperrt.

          Friederike Böge
          Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.

          Am Wochenende hatten immer mehr Chinesen die Clubhouse-App für sich entdeckt. Das lag an den ungewohnten Freiräumen, die sie eröffnete. Hier konnten Tabu-Themen in ihrer ganzen Komplexität diskutiert werden, wie das in China mittlerweile weder an den Universitäten noch in den Sozialen Netzwerken möglich ist. Wer sich in China öffentlich zur Unterdrückung der uigurischen Minderheit in Xinjiang äußert, muss mit Strafe rechnen. Selbst in persönlichen Gesprächen wird das Thema meist umgangen.

          In den Chat-Gruppen über Xinjiang auf Clubhouse konnten dagegen Gefühle wie Scham, Schuld, Ohnmacht und Verwirrung ausgedrückt werden, aber auch das Gefühl thematisiert werden, in eine Ecke gestellt und in Mithaftung genommen zu werden oder China gegen Kritik verteidigen zu müssen.

          Dass die Moderatoren Störern das Mikrofon abschalten konnten, trug vermutlich dazu bei, dass ein respektvolles Miteinander möglich war. Anders als im zensierten chinesischen Internet, wo Nationalismus und Sarkasmus dominieren. Manche Uiguren, die sich zu Wort meldeten, beschrieben sich als integrierte Chinesen. Manche Han-Chinesen aus Xinjiang erzählten über die Entfremdung von uigurischen Kollegen. Es ging um unterschiedliche Interpretationen der Geschichte, um Identität, Empathie, Stereotype. Ist „Konzentrationslager“ ein angemessener Begriff, für das, was in Xinjiang passiert?, fragten manche. Die deutsche Autorin Liya Yu schrieb auf Twitter, Han-Chinesen hätten in den Gesprächen ihre Menschlichkeit zurückerlangt, sowohl in ihrer Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung.

          Und dann wurde es hektisch

          Andere chinesischsprachige Gruppengespräche trugen Namen wie „Die Jugend dies- und jenseits der Taiwan-Straße trifft sich, alle hören einander zu“. Oder „Lasst uns mehr über den Platz des Himmlischen Friedens wissen“. Viele zogen sich über Stunden oder gar Tage hin. Die Teilnehmer schalteten sich aus Hongkong, Taiwan, den Vereinigten Staaten, Australien und vom chinesischen Festland zu. An der Diskussion über die blutige Niederschlagung der Pekinger Protestbewegung von 1989 nahmen am Montag rund 2000 Zuhörer teil. Lesetipps wurden ausgetauscht, allesamt Bücher, die in China verboten sind.

          Einer, der damals dabei war und inzwischen in den Vereinigten Staaten lebt, sagte, „ich bin so froh, dass immer noch so viele sich an dieses Ereignis erinnern“. Er sprach aber auch von den Fehlern, die sie als Studenten damals aus seiner Sicht gemacht hätten. „Wir wussten nicht, was Kompromisse bedeuten, wie Politik funktioniert.“ Ein anderer, der in China lebt, erwiderte: „Es ist schwer, mit Geiselnehmern Kompromisse einzugehen.“ Ein Dritter sprach über die Einsamkeit, die er verspüre, weil seine Vaterlandsliebe anders sei als die anderer Chinesen.

          Aus der kleinen Menge an Wortmeldungen lässt sich freilich nichts über die öffentliche Meinung in China ableiten. Zugang zu Clubhouse hatten nur iPhone-Nutzer, deren Apple-ID in einem anderen Land als China registriert ist. Nötig war außerdem eine Einladung durch einen Freund oder Bekannten. Solche Einladungscodes wurden am Wochenende noch frei im chinesischen Internet verkauft. Beim Online-Händler Taobao waren die Codes zwischenzeitlich für rund 40 Euro zu haben. Im Laufe des Montags wurde die Suche nach Clubhouse in der Taobao-App gesperrt. Später war auch Clubhouse nicht mehr zugänglich. Viele hatten das vorausgesagt.

          Von Anfang an gab es in den chinesischsprachigen Chat-Räumen mahnende Stimmen, die vor Spitzeln warnten, die die Gespräche aufzeichnen könnten. Es gab die Sorge, dass die Staatssicherheit Redner anhand ihrer Stimme identifizieren könne.

          Als die Nachricht die Runde machte, dass Clubhouse nicht mehr zugänglich sei, machte sich in manchen chinesischsprachigen Chat-Räumen Hektik breit. Manche Moderatoren gaben Chinesen vom Festland den Vortritt in der Rednerliste, „um ihre letzten freien Worte zu äußern“, wie die Journalistin Melissa Chan es auf Twitter ausdrückte. Chan beschrieb die Bedeutung der Diskussionen der vergangenen drei Tage so: Sie habe eine „Sehnsucht“ bei vielen Nutzern vom chinesischen Festland gespürt, „nach Anerkennung, Ausdrucksmöglichkeiten, nach ambivalenten Gefühlen über die Partei und über Demokratie“.

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