Irreguläre Grenzübertritte 2022 : Fast die Hälfte der Migranten kam über die Westbalkanroute
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Ein Grenzpolizist an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei im Oktober vergangenen Jahres Bild: AFP
Vieles deutet darauf hin, dass die Landgrenze zwischen der Türkei und Bulgarien zum Haupteinfallstor für irreguläre Migranten geworden ist. Das macht es für Sofia nicht leichter, Mitglied des Schengen-Raums zu werden.
Im vergangenen Jahr sind 330.000 irreguläre Grenzübertritte an den Außengrenzen der Europäischen Union registriert worden, die höchste Zahl seit 2016 (504.000). Wie die EU-Grenzschutzbehörde Frontex am Freitag weiter mitteilte, erfolgten davon fast die Hälfte, nämlich 146.000, auf dem Landweg über die Westbalkanroute. Das ist sowohl relativ als auch in absoluten Zahlen der höchste Anteil, der bisher gemessen wurde. 2021 waren es 61.000 Übertritte, ein Drittel der registrierten Gesamtzahl von knapp 200.000. Auf der östlichen Mittelmeerroute verdoppelte sich die Zahl der Ankünfte auf 43.000, auf der zentralen Route stiegen sie um die Hälfte auf 103.000, während sie auf den westlichen Routen auf niedrigem Niveau sanken.
Die Angaben sind in zweifacher Hinsicht zu relativieren. So werden, gerade auf der Westbalkanroute, Personen oft mehrmals gezählt, bei jedem Grenzübertritt in ein weiteres Land. Der wichtigere Faktor ist jedoch, dass sich die Angaben nur auf registrierte Übertritte beziehen. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. So wurden schon in den ersten neun Monaten des vorigen Jahres nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat mehr als 600.000 Erstanträge auf Asyl in den EU-Mitgliedstaaten gestellt. Allein in Deutschland waren es im gesamten Jahr 244.000 Anträge. Das spricht dafür, dass es vielen Migranten gelingt, unentdeckt oder unregistriert ins Land ihrer Wahl vorzudringen.
Vieles deutet darauf hin, dass insbesondere Bulgarien, das Mitglied des Schengen-Raums werden will, eine Schwachstelle darstellt. Zwar teilte das bulgarische Innenministerium kürzlich mit, im vorigen Jahr seien mehr als 160.000 Personen am illegalen Grenzübertritt gehindert worden und nur 14.000 hätten das Land durchquert. Doch verweist die Regierung in Wien darauf, dass etwa die Hälfte der 100.000 irregulären Migranten, die in Österreich ankamen und größtenteils vorher nicht registriert waren, über die türkisch-bulgarische Grenze gekommen sei. Weitere vierzig Prozent seien mit dem Flugzeug nach Belgrad geflogen und von dort aus illegal weiter gereist. Grund dafür war die laxe Visumpraxis in Serbien, die aber zum Jahresende auf EU-Druck hin verschärft worden ist.
Auch die Herkunft der auf der Westbalkanroute registrierten Migranten lässt darauf schließen, dass die Landgrenze zu Bulgarien das Haupteinfallstor in die Europäische Union ist. Der größte Teil (94.000) waren Syrer; sie sind mit etwa 3,5 Millionen die größte Gruppe von Geflüchteten in der Türkei. Auch Afghanen und Türken kamen in der Regel auf diesem Weg in die EU. Österreich und die Niederlande haben im Dezember die von der EU-Kommission vorgeschlagene Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum mit ihrem Veto verhindert. Beide Länder verwiesen insbesondere auf Defizite in Bulgarien. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen bei einem Sondertreffen am 9. und 10. Februar über Migration beraten. Eine Frage wird dann sein, ob die EU-Kommission aus ihrem Haushalt den Bau physischer Grenzsperren mitfinanzieren soll.