Antrittsbesuch in Washington : Cameron und die britische Kolonialneurose
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Die Briten messen ihr außenpolitisches Gewicht in neurotischer Fixiertheit an ihrer „besonderen Partnerschaft“ zu den Vereinigten Staaten. Der neue Premierminister Cameron erreichte bei seinem Antrittsbesuch die mittlere Stufe in der Höflichkeitsskala des amerikanischen Präsidentenprotokolls.
Der neue britische Premierminister Cameron hatte die Erwartungen mutwillig lockern wollen: Er wisse gar nicht, warum alle Briten immer so neurotisch auf den Zustand der „besonderen Partnerschaft“ zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien achteten, warum sie ihr ständig den Puls fühlten, sie immer wieder für tot erklärten oder stets aufs Neue jubelnd ihre Auferstehung verkündeten, beteuerte er unschuldig staunend vor seinem eigenen Antrittsbesuch als Premierminister in Washington.

Politischer Korrespondent in Berlin.
Vor allem goss Cameron kurz vor der Anreise Häme über jene Besondere-Partnerschaft-Astrologen, die den Zustand der Beziehungen an der Länge (und den Umständen) der Begegnung ihrer jeweiligen Regierungschefs messen wollten, „dem Ort und der Ausgestaltung der anschließenden Pressekonferenz“ und die sogar dem Faktum Bedeutung beimäßen, ob die betreffenden Politiker sich der Presse sitzend oder stehend darböten.
Britische Kolonialneurose
Dass die Briten ihr außenpolitisches Gewicht in einer geradezu neurotischen Fixiertheit daran messen, welche Bedeutung ihnen in den Augen der Vereinigten Staaten zukommt, lässt tatsächlich auf anhaltende Selbstzweifel nach dem Verlust der eigenen Weltmachtrolle schließen. Spätestens seit der „Suez-Krise“ vor einem halben Jahrhundert, als letztmalig ein britischer Versuch scheiterte, eine internationale Kommando-Aktion ohne amerikanisches Einverständnis zum Erfolg zu führen, hängt nach der Auffassung vieler britischer Diplomaten - und sämtlicher Medien - alles vom unverbrüchlichen Einverständnis des alten Mutterlandes zu dem ersten, sich so überaus selbstsicher präsentierenden Koloniekind Amerika ab.
Die jüngeren Maßstäbe in dieser schwierigen Mutter-Kind-Beziehung hatte zunächst die britische Premierministerin Thatcher gesetzt, die dem damaligen amerikanischen Präsidenten Reagan mit dem Falkland-Krieg imponierte - der wog die Ohnmacht von Suez beinahe wieder auf, denn die Amerikaner mussten zwar vor der Entsendung der Rückeroberungsflotille in den Südatlantik gefragt werden, waren aber immerhin vorab nicht begeistert von dieser britischen Hauruck-Aktion.
Zwanzig Jahre später tat sich mit gegenläufigem Effekt Tony Blair hervor, in einer Weise, die zuhause in London als eher hündisch-ehrerbietig empfunden wurde (als es um die Gefolgschaft für George Bush im Irakkrieg ging.
Amerikanische Unachtsamkeiten
Anschließend - auf beiden Seiten hatten die Führungspersonen gewechselt - registrierte die britische Öffentlichkeit mit sarkastischer Freude, dass sich Blairs irakische Freundschaftsdienste gegenüber Bush für seinen Nachfolger Brown gegenüber Bushs Nachfolger Obama in keiner Weise mehr auszahlten.
Schon in den kleinen Gesten wurde eine gewisse Unachtsamkeit bemerkbar: bei einem UN-Gipfeltreffen in New York fand Obama nur kurz in einer Büffett-Küche Zeit für ein informelles Gespräch mit Brown, und zu einer ersten Begegnung in London brachten die Obamas als Gastgeschenk für das Dinner in 10 Downing Street eine DVD-Sammlung mit den besten amerikanischen Hollywood-Filmen mit, was erstens ein wenig nach heimischer Wirtschaftsförderung aussah, und sich zweitens als unbrauchbare Gabe erwies, da sich die Filme wegen divergierender Codierungsnormen auf britischen Wiedergabe-Geräten nicht abspielen ließen.
Gedankenlosigkeiten bestenfalls, vielleicht aber doch auch Anlass zur Sorge für den neuen Hausherrn in der Downing Street, zumal in jüngster Zeit im speziellen Verhältnis tatsächlich handfeste (und teure) Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten entstanden sind - vor allem über die Ölverschmutzung, die der Konzern BP - den Obama gerne bei seinem früheren vollen Namen „British Petroleum“ nennt - vor der amerikanischen Golfküste anrichtete, aber auch über das britische Zögern, einen in Amerika gesuchten Computerhacker auszuliefern.
Camerons Spott über die Amerika-Fixiertheit
Also tat Cameron gut daran, mit ein wenig Spott über die Amerika-Fixiertheit der politischen Klasse in Großbritannien die Erwartungen zu dämpfen. Allerdings konnte er da schon ahnen, dass dann doch alles gut gehen würde: vor zwei Wochen hatte Obama ihn bereits in einer besonderen Geste im Präsidenten-Hubschrauber mitgenommen, als beide Staatsmänner in Kanada von einem G8- zu einem G20-Gipfeltreffen zu eilen hatten.
Damals machte Obama überdies einen gelungenen Witz über das Bier, dass Cameron ihm aus einer Privatbrauerei im heimischen Oxfordshire mitgebracht hatte: der amerikanische Präsident versicherte, er werde es, anders als in englischen Pubs üblich, keinesfalls bei Zimmertemperatur trinken.
Mittlere Stufe der Höflichkeitsskala
Und gemäß solch günstiger Vorzeichen ging dann auch beim ersten offiziellen Treffen alles gut: insgesamt drei Stunden an Gesprächen Camerons mit dem Präsidenten im Weißen Haus, anschließend gemeinsame Pressekonferenz im East Room - die mittlere Stufe in der Höflichkeitsskala des amerikanischen Präsidentenprotokolls.
Cameron, der zuvor versichert hatte, auf solche astrologischen Beziehungsdeutungen keinen Wert zu legen, durfte erleichtert sein - und sich sogar im Angesicht Obamas eine kleine Unbotmäßigkeit erlauben: BP sei auch für die amerikanischen Aktionäre eine wichtige Firma, bemerkte der britische Premierminister. Und Obama schenkte ihm noch die Bemerkung dazu, die amerikanisch-britischen Beziehungen seien „wirklich ganz besonders“.