Vorfälle in Frankreich : Die Banalisierung des Antisemitismus
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Neue Grabschändung: Neonazistische Schmierereien auf dem jüdischen Friedhof in Champagne-au-Mont-d’Or in der Nähe von Lyon Bild: AFP
20.000 Menschen demonstrieren gegen Judenhass in Paris. Das ist zu wenig, um den aufkeimenden Antisemitismus in Frankreich wieder einzudämmen. Und die Regierung Macron ist kaum bemüht, das Problem zu lösen.
Nach den Demonstrationen gegen den grassierenden Antisemitismus in Frankreich ist am Mittwoch eine neue Grabschändung bekannt geworden. Auf dem jüdischen Friedhof in Champagne-au-Mont-d'Or in der Nähe von Lyon wurden Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert. Einen Grabstein besprühten die unbekannten Täter mit der Aufschrift „Shoa blabla“. In Frankreich wird die Massenvernichtung der Juden als Shoa bezeichnet, um stärker als beim Begriff Holocaust die Einzigartigkeit des Verbrechens hervorzuheben. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen, um die Grabschänder zu finden. Präsident Emmanuel Macron wollte am Mittwochabend vor dem Dachverband der jüdischen Organisationen, Crif, seine Strategie zur Eindämmung des erstarkten Antisemitismus erläutern.
In der Großdemonstration am Platz der Republik in Paris will der französische Großrabbiner Haim Korsia ein „Aufbäumen der französischen Gesellschaft gegen den Antisemitismus“ sehen. Etwa 20.000 Menschen waren gekommen, um „Es reicht!“ („Ca suffit“) nach der Serie der antisemitischen Übergriffe, Schmierereien und Beschimpfungen zu sagen. Auch in 60 anderen Städten wurden Kundgebungen organisiert, im ganzen Land nahmen nach Angaben des Innenministeriums 50.000 Menschen teil. Das sei ein „wichtiges Signal“, wie Premierminister Edouard Philippe, betonte. Aber ausreichen wird es wohl kaum. Der frühere Präsident Nicolas Sarkozy forderte, der Staat müsse endlich Autorität zeigen. Sarkozy mahnte, dass der erstarkte Antisemitismus eine Folge des von Salafisten und anderen radikalen Predigern propagierten Judenhasses sei.
Als die Menschen in Paris und in anderen großen französischen Städten gegen den Judenhass protestierten, nahm die Polizei einen der Hetzer fest, der den Philosophen Alain Finkielkraut während einer Gelbwesten-Demonstration in Paris so hasserfüllt beschimpft hatte. Es handelt sich um den 36 Jahre alten Benjamin W. aus Mülhausen (Mulhouse) im Elsass, der zum Islam konvertiert ist und sich seither Souleyman nennen lässt.
Der Mann, der Finkielkraut als „Drecksrasse“ beschimpfte, geriet nach Angaben der Ermittler in den Bannkreis salafistischer Prediger. Sein rötlich gefärbter Bart deutete schon darauf hin, dass er sich den Salafisten zugehörig fühlt. Benjamin W. wurde in Frankreich geboren, seine Mutter ist Französin, sein Vater stammt aus Algerien. „Frankreich gehört uns“, beschimpfte er Finkielkraut. Nach Informationen der Ermittler schloss er sich einem Verein zur Hilfe für die Palästinenser in Mülhausen an und reiste in Lager in den Libanon. Zudem soll Benjamin W., Vater von fünf Kindern, ein großer Fan DIeudonnés sein, dessen Ein-Mann-Shows für antisemitische Witze und Hetze gegen Eliten und Presse bekannt sind.
Die Regierung ist bislang kaum aktiv geworden, um den Einfluss von salafistischen Hasspredigern zu begrenzen. Wie der frühere Europaminister Jean Leonetti (Republikaner) und Bürgermeister von Antibes, jetzt beklagte, gibt es mindestens 150 Moscheen in Frankreich, in denen Hassprediger offen Antisemitismus anpreisen. Ein Imam in Toulouse etwa habe den „Krieg gegen die Juden“ gepredigt, sagte Leonetti. Noch immer lasse man ihn weiter predigen und die Jugend beeinflussen, beklagte der Politiker.
Lehrer schlagen in sozialen Netzwerken Alarm
Aber auch der sogenannte Komiker Dieudonné kann ungestört seine antisemitischen Sketche im Internet und bei seinen Bühnenauftritten in ganz Frankreich aufführen. Die Regierung unter Premierminister Manuel Valls hatte seinerzeit viel entschlossener versucht, die Banalisierung antisemitischer Sprüche durch Dieudonné zu unterbinden.
An den Schulen bestehen auch siebzehn Jahre nach der Veröffentlichung des Sammelbands „Die verlorenen Territorien der Republik“ die gleichen Missstände fort. Vor Klassen, deren Schüler überwiegend aus dem islamischen Kulturraum stammen, wird die Geschichte des Holocaust oftmals nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten unterrichtet. Davon zeugten bereits 2002 die Berichte der Lehrer, die in dem Sammelband gedruckt wurden. Unter dem Hashtag #pasdevague, zu deutsch: nur keine Wellen schlagen, schlagen Lehrer seit Wochen in den sozialen Netzwerken Alarm, dass sich die Situation in vielen Banlieue-Klassen nicht gebessert hat.