Abschied von Merkel : „Wie Rom ohne Vatikan“
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Mateusz Morawiecki, Ursula von der Leyen, Angela Merkel, Emmanuel Macron und Viktor Orbán bei Merkels letztem EU-Gipfel am Freitag in Brüssel Bild: AFP
Angela Merkel verlässt nach 16 Jahren die europäische Bühne. Bei ihrem letzten EU-Gipfeltreffen bekommt sie warme Worte, stehenden Applaus – und ein seltsames Geschenk. Sie selbst gab sich so nüchtern wie immer.
Lothar Matthäus hat 150 Länderspiele für Deutschland bestritten, Miroslav Klose hat 71 Tore für die Nationalmannschaft geschossen. Und Angela Merkel? 107 EU-Gipfeltreffen stehen für sie zu Buche. Stets in der Länge mehrerer Fußballspiele, einmal waren es sogar vier Tage und vier Nächte am Stück. Die Tore, die sie dabei geschossen hat, sind in keiner Statistik erfasst. Doch waren sich die Kollegen und Kolleginnen bei ihrem mutmaßlich letzten Auftritt am Freitag in Brüssel einig: Die Kanzlerin hinterlässt eine Lücke, die größer kaum sein könnte. Charles Michel brachte das so auf den Punkt, als er Merkel vor versammelter Mannschaft würdigte: „Der Europäische Rat ohne Angela ist wie Rom ohne Vatikan oder Paris ohne Eiffelturm.“ Ovationen im Stehen bekam die Kanzlerin am Ende – von einem Club, der sich sonst auf wenig verständigen konnte.
Er wisse, dass Merkel Überraschungen und Ehrungen nicht möge, leitete Michel seine Abschiedsworte ein und bat die Kanzlerin um Nachsicht. „Dein Abschied von der Europäischen Bühne berührt uns politisch, aber erfüllt uns auch mit Emotion.“ Er erinnerte daran, wie er ihr zuerst begegnet war, da noch als belgischer Premierminister. Merkel habe sich sogar für die Details der Koalitionsvereinbarung und die Komplexität der belgischen Institutionen interessiert. Man muss dazu wissen: Der belgische Föderalismus ist noch viel komplizierter als der deutsche.
Michel würdigte Merkels extrem nüchterne und uneitle Art – und fügte hinzu: „Das ist eine sehr mächtige Waffe zur Verführung.“ Merkel sei ein „Kompass und ein Glanzlicht des europäischen Projekts“. Als Geschenk überreichte er ihr eine künstlerische Darstellung des Europa-Gebäudes, wo der Rat seit 2017 stattfindet. In Brüssel wird es „Space Egg“ genannt – weil sich die Sitzungsräume in einem riesigen Ei befinden, das so aussieht, als sei es direkt vom Himmel ins Haus gefallen. Die verschenkte Glas-Plastik weckte freilich noch manch andere Assoziation: an einen Totenkopf oder ein seziertes Auge.
Persönlich fiel auch die Würdigung des luxemburgischen Ministerpräsidenten aus. Xavier Bettel regiert seit 2013, er folgte auf Jean-Claude Juncker, der mit 18 Jahren als Regierungschef und fünf weiteren als Kommissionspräsident den Spitzenplatz in der europäischen Gipfel-Rangliste einnimmt. „Frau Merkel war so eine Kompromissmaschine“, sagte Bettel am Freitag. „Sehr oft, wenn es nicht weiterging, dann hat die Angela . . . tak, tak, tak – und dann kam ein Vorschlag.“ Und zwar meistens einer, der die Union nicht nur zusammenhielt, sondern ein Stück weiterbrachte. „Ich werde sie vermissen, Europa wird sie vermissen“, sagte Bettel, „es ist eine große Person, die uns verlassen wird.“
Alexander Schallenberg, der österreichische Bundeskanzler, nahm an seinem ersten Gipfel als Regierungschef teil. Er würdigte Merkel so: „Jemand, der so lange in dieser Position ist, so prägend mitgestaltet hat bei der Europäischen Union, wird natürlich eine Lücke hinterlassen. Sie war ein Ruhepol.“ Alexander De Croo, belgischer Premierminister, erinnerte an Merkels Rolle in der Migrationskrise von 2015. „Sie ist jemand, die in 16 Jahren Europa geprägt hat und uns geholfen hat, gute Entscheidungen zu treffen, mit viel Humanität in schwierigen Zeiten.“