Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vor 20 Jahren : „Oder es wird zerfallen“
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Die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens als unabhängige Staaten zum 15. Januar 1992 kam ein halbes Jahr zu spät. Dennoch gehörte sie zu den wenigen klugen Entscheidungen der europäischen Balkanpolitik Ende des vergangenen Jahrhunderts. Auf den Spuren eines Marschs in die Katastrophe und seiner Mythen.
Am Nachmittag des 16. Dezember 1991 trafen sich die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft im Brüsseler Charlemagne-Gebäude, um eine seit Wochen aufgeschobene Entscheidung zu fällen. Als die Minister vor die Presse traten, war der Morgen des 17. Dezember angebrochen. Immerhin konnte nun endlich eine Einigung in einem Streit verkündet werden, der seit Monaten ernsthafte Risse zwischen den zwölf Mitgliedstaaten offenbart hatte. Es ging um die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Deutschland und Dänemark waren dafür, Paris zögerte. Die britische Regierung war dagegen, ebenso die meisten anderen EG-Mitglieder und Washington. Dennoch einigten sich die EG-Außenminister am 17. Dezember 1991 auf Drängen Deutschlands im Grundsatz darauf, die Unabhängigkeit der beiden bedrängten Republiken zum 15. Januar 1992 anzuerkennen.
"Die Entscheidung zur Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vollzog nur eine Entwicklung nach, die längst unumkehrbar war", stellte der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher unlängst in einem Gespräch mit dieser Zeitung fest. Tatsächlich bestand Jugoslawien im Dezember 1991 schon seit Monaten nur noch auf dem Papier. In Kroatien tobte der Krieg, Dubrovnik und andere Städte wurden von serbischem Militär beschossen. Von der Stadt Vukovar war nur ein Schutthaufen geblieben. Auch in Slowenien hatten Kämpfe stattgefunden, in Bosnien wurde zum Krieg gerüstet. Es ging längst nicht mehr um den Erhalt des Staates, sondern nur noch um die Aufteilung der Konkursmasse des kommunistischen Staates.
Obwohl die Chronologie des Zerfalls Jugoslawiens Genschers Aussage eindeutig bestätigt, hat sich eine bemerkenswert hartnäckige Legende entwickelt, die zeitweilig sogar in wissenschaftliche Literatur Einzug hielt. Deutschland, so ihr Kern, habe durch die "vorzeitige" oder "alleinige" Anerkennung Sloweniens und Kroatiens Jugoslawien zerstört, trage gar die Schuld am blutigen Zerfall des Staates. In seriösen Abhandlungen findet sich diese Legende mittlerweile kaum noch. Doch vor allem bei serbischen Nationalisten und deutschen Linken ist sie bis heute ein Axiom.
Marie-Janine Calic, Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, weist diese Darstellung zurück. "Weder am Zerfall noch an der blutigen Austragung des Konflikts tragen externe Akteure eine Schuld, sondern allein die Verantwortlichen in den Teilrepubliken." Tatsächlich habe der Auflösungsprozess Jugoslawiens schon in den achtziger Jahren begonnen. Regionale Ungleichgewichte, abweichende Reformvorstellungen, die immer schwieriger werdende wirtschaftliche Lage und eine tiefgreifende politische Legitimitätskrise seien die wichtigsten Gründe dafür gewesen. "Der Staat war 1990 praktisch handlungsunfähig. Die gemeinsamen Staatsorgane zerfielen, allen voran der Bund der Kommunisten Jugoslawiens, dann auch alle Bundesinstitutionen." Die Interessen der Beteiligten waren unvereinbar geworden. Serbien wollte den Erhalt Jugoslawiens, denn etwa ein Drittel der Serben lebte außerhalb dieser größten jugoslawischen Teilrepublik, vor allem in Bosnien und Kroatien. Das einende staatliche Dach wollten die Serben nicht verlieren. Kroatien und Slowenien andererseits wollten nicht "in einem dysfunktionalen und reformunfähigen Staat verharren".