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Schul-Amoklauf in Texas : 19 Polizisten warteten vor dem Klassenzimmer

Erläutert die Fehler: Der Direktor der Behörde für öffentliche Sicherheit in Texas, Steven McCraw Bild: AFP

Nach dem Amoklauf in einer Grundschule in Texas mit 21 Toten hat die Polizei schwere Fehlentscheidungen eingestanden. Schüler hatten zehn Notrufe abgesetzt, bis eine Spezialeinheit den Raum stürmte.

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          Um 12.03 Uhr am Dienstag standen 19 Polizeibeamte in einem Flur der Robb Elementary School. Vor der Tür der zwei verbundenen Klassenzimmer, in denen sich ein 18 Jahre alter Amokläufer seit knapp einer halben Stunde verschanzt hatte. Doch die Beamten warteten auf eine Spezialeinheit und Ausrüstung, sagte der Direktor der Behörde für öffentliche Sicherheit in Texas, Steven McCraw, am Freitag. Um 12.50 Uhr schließlich öffnete die Spezialeinheit die verschlossene Tür mit einem Schlüssel des Hausmeisters und erschoss den Angreifer. In der Zwischenzeit hatten Schüler aus ebendiesem Klassenzimmer zehn Mal den Notruf 911 gewählt. Zwei Mädchen, die mit dem Amokläufer eingeschlossen waren, riefen immer wieder – je vier Mal – an und baten um Hilfe. Bei einem Notruf um 12.21 Uhr waren laut dem Beamten Schüsse zu hören.

          Sofia Dreisbach
          Politische Korrespondentin für Nordamerika mit Sitz in Washington.

          Was McCraw da am Freitagnachmittag in einer Pressekonferenz über den Hergang der Tat sagte, legte die schweren Versäumnisse der Polizei beim Amoklauf in Uvalde offen, bei dem ein junger Mann 19 Grundschüler und zwei Lehrerinnen erschossen hatte. Am Sonntag dann kündigte ein Sprecher des amerikanischen Justizministeriums an, man werde „auf Bitte des Bürgermeisters von Uvalde“ eine Untersuchung des Polizeieinsatzes in die Wege leiten. Nach Angaben von McCraw hatte der verantwortliche Beamte in Uvalde entschieden, dass sich die Lage verändert habe – dass der Täter nicht mehr schieße, sondern sich verbarrikadiert habe. Er habe deswegen angenommen, dass „Zeit ist und keine weiteren Kinder in Gefahr sind“ – laut McCraw eine Fehleinschätzung der Lage.

          Als nach dieser Bekanntgabe ein Sturm von Rufen und entrüsteten Nachfragen ausbrach, bat McCraw um Ruhe: Im Nachhinein betrachtet sei das „natürlich nicht“ die richtige Entscheidung gewesen. „Es war eine falsche Entscheidung. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Punkt. Wir sind der Meinung, dass man so schnell wie möglich hätte stürmen müssen.“ Das sei die „Doktrin“: Jeder Beamte „sucht den Ort, an dem die Kugeln abgefeuert wurden, und schießt so lange, bis die Person tot ist“.

          Der Mann, der diese Fehleinschätzungen getroffen hat, ist der Chef der Polizei des Schulbezirks, Pedro Arredondo. Laut dem Schulbezirk arbeitet er seit knapp dreißig Jahren als Polizeibeamter. Arredondo selbst hat sich seit zwei kurzen Pressekonferenzen am Tag des Amoklaufs nicht mehr öffentlich geäußert. Seine Entscheidungen laufen dem Protokoll für Einsatzkräfte zuwider, das seit dem Amoklauf an der Columbine High School in Colorado 1999 weithin gilt. Damals hatten zwei Attentäter zwölf Schüler und einen Lehrer getötet. Ziel ist es seither, den Schützen so schnell wie möglich zu stoppen – dafür soll etwa sogar das Versorgen von Verletzten zurückgestellt werden. In einem Dokument des Heimatschutzministeriums zum Umgang mit Amokläufen heißt es: „Ziel der Polizei ist es, den Amokläufer so schnell wie möglich zu stoppen. Beamte begeben sich direkt dorthin, wo die letzten Schüsse zu hören waren.“

          Das offensichtliche Versäumnis mag ein Grund dafür sein, warum es in den Tagen unmittelbar nach dem Amoklauf am Dienstag zunächst keine konkreten Informationen darüber gab, was in der Zeit zwischen dem Eintreffen des Täters an der Schule und der Stürmung durch die Spezialkräfte geschehen war. Am Donnerstag erregten Aussagen von Angehörigen Aufmerksamkeit, die der Polizei schwere Vorwürfe wegen zu späten Eingreifens machten. In einer Pressekonferenz am Donnerstag korrigierte ein Beamter der Behörde für öffentliche Sicherheit dann zwar eine andere Falschinformation: Anders als ursprünglich behauptet war kein bewaffneter Sicherheitsbeamter an der Schule, der versucht hatte, den Täter aufzuhalten. Doch zum Ablauf machte er keine genaueren Angaben.

          Inzwischen mehren sich auch die Berichte von Schülern über das, was sich im Inneren des Klassenraums abspielte, in dem sich der Amokläufer verschanzt hatte. Die 11 Jahre alte Miah Cerrillo erzählte dem Sender CNN, sie hätten „Lilo und Stitch“ geschaut, einen Zeichentrickfilm von Disney. Die Stunde sei gerade zu Ende gewesen, als die beiden Lehrerinnen mitbekommen hätten, dass es Schütze im Gebäude sei. Eine von ihnen habe noch schnell die Tür abgeschlossen, aber der Attentäter sei schon da gewesen und habe das Glas in der Tür zerschossen. Im Klassenraum habe er erst die Lehrerin erschossen, dann auf die Schüler gefeuert, sei schließlich in den angrenzenden Raum gegangen und habe dort auf die anderen Kinder geschossen.

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          Miah Cerrillo hatte sich aus Angst, der Attentäter könnte zurückkommen, mit dem Blut eines toten Mitschülers beschmiert, damit er auch sie für tot hielt. Sie selbst wurde durch Splitter an der Schulter und am Kopf verletzt. Nach eigener Aussage war die Elfjährige eines der beiden Mädchen, die einen Notruf abgesetzt hatten: „Bitte kommt, wir sind in Schwierigkeiten.“ Es habe sich angefühlt wie drei Stunden, die sie dort im Blut ihres Klassenkameraden gelegen habe. Sie habe gedacht, dass die Polizei noch nicht an der Schule angekommen sei.

          Der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, hatte bei einer ersten Pressekonferenz zu dem Massaker am Mittwoch gesagt: „Es hätte noch schlimmer sein können“ und die schnelle Reaktion der Einsatzkräfte gelobt. Zwei Tage später saß Abbott wieder auf derselben Bühne und sagte: „Ich wurde in die Irre geführt.“ Er habe an diesem Tag nur wiedergegeben, was man ihm zum Tathergang gesagt habe. „Diese Informationen – wie wir jetzt alle wissen – stellten sich als in Teilen falsch heraus. Und das macht mich sehr wütend“, sagte er am Freitag. Er erwarte jetzt eine „gründliche, erschöpfende“ Aufklärung. Präsident Joe Biden, der sich bisher nicht zu den Versäumnissen der Po­lizei geäußert hat, reiste am Sonntagnachmittag nach Uvalde. Er legte dort Blumen am Gedenkort vor der Schule nieder, nahm an einem Gottesdienst teil und traf Hinterbliebene sowie Ersthelfer.

          Eigentlich hätte Gouverneur Abbott am Freitag beim Jahrestreffen der Waffenlobby NRA in Houston sprechen sollen, rund vier Stunden von Uvalde entfernt. Am Donnerstag teilte er mit, er werde nicht persönlich teilnehmen. In einer aufgezeichneten und am Freitag ausgestrahlten Videobotschaft distanzierte er sich jedoch abermals von der Forderung nach einer Reform des Waffenrechts. Im ganzen Land gebe es „Tausende Gesetze“, die den Besitz oder die Verwendung von Schusswaffen einschränken – „Gesetze, die Wahnsinnige nicht davon abgehalten haben, in friedlichen Gemeinden böse Taten an unschuldigen Menschen zu verüben.“ Der frühere Präsident Donald Trump las beim NRA-Treffen in Houston zunächst die Namen der in Uvalde Getöteten vor und sagte dann: „Die Existenz des Böse sei eine der besten Gründe dafür, redliche Bürger zu bewaffnen.“ Auf den Straßen demonstrierten Hunderte gegen die Veranstaltung und trugen Plakate mit den Bildern der Opfer von Uvalde.

          Vizepräsidentin Kamala Harris sprach sich am Wochenende abermals entschieden für ein Verbot von Angriffswaffen aus. Während der Beerdigung eines der Opfer des rassistischen Massakers in Buffalo, als ein 18 Jahre alter Mann am 14. Mai zehn Menschen in einem Supermarkt erschossen hatte, fragte Harris: „Wissen Sie, was ein Angriffswaffe ist?“ Sie sei für den Zweck entwickelt worden, „schnell viele Menschen zu töten. Bei beiden Massakern hatten die Schützen halbautomatische Gewehre des Typs AR-15 benutzt, die sie legal erworben hatten. „Eine Angriffswaffe ist eine Kriegswaffe, die in einer zivilen Gesellschaft nichts zu suchen hat“.

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