Präsidentschaftswahl Brasilien : Gespaltenes Land
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Alte und neue Präsidentin Brasiliens: Dilma Rousseff nach ihrem Wahlsieg Bild: AFP
Nach dem knappen Wahlsieg von Dilma Rousseff besteht in Brasilien wenig Hoffnung auf den erforderlichen Reformschub.
Es waren die am heftigsten umkämpften Wahlen mit dem knappsten Ausgang seit Jahrzehnten. Die Wiederwahl von Präsidentin Dilma Rousseff von der linken Arbeiterpartei (PT) für eine zweite Amtszeit von vier Jahren ist alles andere als glanzvoll. Ein überzeugendes Wählermandat sieht jedenfalls anders aus als ein Vorsprung von gerade einmal 51,6 Prozent zu 48,4 Prozent der Stimmen im Stichentscheid.
Sieht man sich die absoluten Zahlen an, ist der Sieg noch weniger eindrucksvoll. Bei der Stichwahl vom Sonntag gewann Rousseff bei insgesamt rund 105 Millionen gültigen Wählerstimmen gerade einmal gut drei Millionen Stimmen mehr als ihr Herausforderer Aécio Neves von der konservativen Sozialdemokratischen Partei (PSDB). Obwohl in Brasilien Wahlpflicht besteht, gingen 30 Millionen Wähler am Sonntag nicht zur Wahl; mehr als sieben Millionen enthielten sich bei der Wahl oder stimmten ungültig. Insgesamt waren rund 142,5 Millionen Brasilianer wahlberechtigt. Von ihnen sprachen weniger als 36 Prozent der alten und neuen Präsidentin ihr Vertrauen aus.
Tiefe Gräben trennen das Land
Natürlich ist und bleibt die 66 Jahre alte Rousseff dennoch die Präsidentin aller Brasilianer. Ihr zwölf Jahre jüngerer unterlegener Herausforderer Neves wünschte ihr für ihre zweite Amtsperiode viel Erfolg. Doch die Überwindung der tiefen politisch-sozialen sowie regionalen Gräben, die das Land von kontinentalen Ausmaßen sowie seine gut 202 Millionen Einwohner trennen, wird für Rousseff eine Herkulesaufgabe sein. Noch schwerer wird es freilich für sie sein, die erforderlichen Reformen durchzusetzen, um die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder auf den Pfad eines kräftigen Wachstums zu bringen. Man kann sich sogar fragen, ob sie überhaupt willens ist, diese Reformen durchzusetzen. In ihrem Schlachtruf für die Stichwahl haben Rousseff und die PT zwar eine „neue Regierung“ und „neue Ideen“ versprochen. Doch viel spricht dafür, dass die zweite Amtszeit Rousseffs bis Ende 2018 im Wesentlichen so aussehen wird wie ihre erste.
Ihre Wiederwahl verdankt Rousseff in erster Linie ihrem überwältigenden Sieg im strukturschwachen und ärmeren Nordosten des Landes, wo sie fast drei Viertel der Stimmen erhielt. Zudem gewann sie die Mehrheit der Stimmen in ihrem und in Neves‘ Heimatbundesstaat Minas Gerais. Der spiegelt wie in einem Prisma die sozio-ökonomische Spaltung des Landes wider: Im ärmeren Nordosten von Minas Gerais siegte Rousseff, im wohlhabenderen Süden um die Hauptstadt Belo Horizonte lag sie hinter ihrem konservativen Herausforderer. Neves siegte zudem in fast allen Bundesstaaten im Süden, im Westen und im Südosten des Landes. In Bundesstaat São Paulo, dem mit 44 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten aller 27 Teilstaaten, wo das wirtschaftliche Herz Brasiliens schlägt, setzte sich Neves am Sonntag wie schon im ersten Wahlgang vom 5. Oktober mit fast zwei Dritteln der Stimmen deutlich gegen Rousseff durch. Vor allem in den Großstädten im Südosten des Landes waren im Juni und Juli 2013 Hunderttausende auf die Straße gegangen, hatten bessere Leistungen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen sowie Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr und bei der öffentlichen Sicherheit gefordert.
Angstkampagne gegen Sozialreformen
Diese Forderungen haben sich nicht in Luft aufgelöst, auch wenn eine knappe Mehrheit der Brasilianer für Kontinuität und gegen den Wechsel gestimmt hat. Der knappe Gesamtsieg im ganzen Land ist einer erfolgreichen Angstkampagne der PT im Nordosten geschuldet ist, wo vor allem der frühere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Menschen irreführend davor gewarnt hatte, die umfassenden Sozialprogramme für die Armen und die untere Mittelschicht würden ihm Falle eines Wahlsieges der konservativen PSDB wieder abgeschafft werden. Dabei hatte sich Neves ausdrücklich zur Fortsetzung und Ausweitung etwa des erfolgreichen Sozialhilfeprogramms „Bolsa Família“ bekannt, von dem inzwischen rund 50 Millionen Brasilianer profitieren. Doch ohne ein starkes Wachstum der siebtgrößten Volkswirtschaft, die in diesem Jahr sogar in die Rezession geglitten ist, werden die staatlichen Transferzahlungen künftig nicht zu finanzieren sein. Und eine Teuerungsquote von derzeit 6,5 Prozent trifft die unteren Einkommensschichten besonders hart. Die anhaltend schwache Wirtschaftsentwicklung Brasiliens sehen Rousseff und die PT als Ausfluss der Krise der Weltwirtschaft. Doch in Wahrheit braucht Brasilien vor allem einen Schub bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und beim Ausbau der Infrastruktur.
In ihrer Siegesrede am Wahlabend versprach Rousseff „mehr Frieden und mehr Dialog“ im Inneren sowie eine Fortsetzung des Kampfes für ein „gerechtes, inklusives und produktiveres Brasilien“. Ohne die Überwindung der tiefen Spaltung des Landes wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. Aber auch nicht ohne ein Ende der grassierenden Korruption in der Politik, mit der sich die Brasilianer in einer Mischung aus Resignation und Zynismus aber anscheinend abgefunden haben.