Jorge Videla gestorben : Der Ideologe des dreckigen Krieges
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Unter Kirchner sämtliche Begnadigungen aufgehoben
Allerdings wurde er 1998 wieder festgenommen. Obwohl damals das „Gehorsamspflicht“- und das „Schlusspunkt“-Gesetz sowie Menems Begnadigung noch Gültigkeit hatten, war dies möglich geworden, weil gegen Videla wegen eines Verbrechens ermittelt wurde, das nicht durch die Amnestieverfügungen abgedeckt war: die Entführung von Kindern, die ihren gefangenen, nach der Niederkunft getöteten Müttern weggenommen und Familien von Polizisten oder Militärs zur Adoption übergeben worden sind. Wegen seines Alters – Videla war damals 72 – wurde ihm Hausarrest gewährt, doch weil er sich trotzdem ungeniert in der Öffentlichkeit tummelte, wurde er in ein Gefängnis eingewiesen.
Seit auf Betreiben des 2010 verstorbenen Präsidenten Néstor Kirchner 2005 vom Obersten Gericht sämtliche Amnestiegesetze und Begnadigungen aufgehoben worden waren, wurde gegen Videla eine ganze Reihe von Prozessen neu eröffnet. Im Juli 2012 ist er wegen der von den Schergen der Junta praktizierten Kindesentführung in 18 Fällen zu 50 Jahren Haft verurteilt worden. Er bestritt, dass systematisch schwangeren Gefangenen nach Entbindung die Säuglinge weggenommen wurden; dies seien nur Einzelfälle gewesen, behauptete er. Doch die Zahl von inzwischen mehr als hundert aufgeklärten Fällen, in denen die damals Entführten ihre wahre Identität wiedererlangt haben, lässt keinen Zweifel daran, dass der Kindesraub einem festen Plan folgte. Mutmaßlich sind insgesamt 500 Kinder auf diese Weise ihren Familien entrissen worden.
Die inzwischen in verschiedenen anderen Gerichtsverfahren ergangenen Urteile, bei denen Freiheitsentzug gegen Videla verhängt wurde, sind mit den 50 Jahren zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zusammengeführt worden. Zuletzt stand Videla wegen seiner Beteiligung und mutmaßlichen Rädelsführerschaft bei dem „Plan Cóndor“ vor Gericht. Unter diesem Decknamen koordinierten die Diktaturen Südamerikas die Verfolgung von politischen Gegnern und organisierten deren wechselseitige Auslieferung. Videla negierte auch bei diesem Verfahren jede Form von Verantwortung.
Bei seinem letzten Auftritt am vergangenen Dienstag trug der mittlerweile 87 Jahre alte frühere Diktator mit fester Stimme seine Argumente vor. Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass er von gesundheitlichen Problemen geplagt sein könnte. Kurz zuvor hatte er seine Landsleute ein letztes Mal mit einer provokanten Äußerung aufgeschreckt. Er forderte das Militär unverblümt auf, sich gegen die Regierung der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner zu erheben.
Am Freitagmorgen ist Videla tot in seiner Zelle im Gefängnis von Marcos Paz in der Provinz Buenos Aires aufgefunden worden. Obwohl die Justiz annimmt, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist, ordnete sie eine Autopsie an, „um alle Zweifel zu beseitigen“. Er wird ohne staatliches oder militärisches Zeremoniell bestattet, wie dies für alle argentinischen Militärs vorgesehen ist, die in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. „Ein verachtenswerter Mensch hat die Welt verlassen“, sagte nach Bekanntwerden der Todesnachricht mit sichtlicher Erleichterung Estela de Carlotto, die Präsidentin der „Großmütter der Plaza de Mayo“, die ihre in der Diktatur verschwundenen Enkel suchen.