Abtreibung in Amerika : Der schmale Gang
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Die Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch spaltet Amerika Bild: Thomas Fuchs
Texas zwingt die meisten Abtreibungspraxen zur Schließung. Mit einem neuen Gesetz. Die harten Auflagen können sie nicht erfüllen. Der ewige Streit zwischen dem „Pro Life“- und dem „Pro Choice“-Lager geht in eine neue Runde.
Nachdem die Chefin das Licht gelöscht und die Türen abgeschlossen hatte, zündeten Frauen vor dem Flachbau Kerzen an. Gemeinsam hielten sie an jenem Märzabend vor fünf Monaten inne – aber nicht im Gedenken an die vielen Babys, die nie zur Welt kamen, weil an der „Whole Woman’s Health Clinic“ vor allem Abtreibungen vorgenommen wurden. Vielmehr war die kleine Mahnwache in der südtexanischen Stadt McAllen ein Protest gegen die politisch erzwungene Schließung der Praxis und Ausdruck der Sorge um Frauen in Bedrängnis. Die müssten nun aus den ärmsten Gegenden von Texas Hunderte Meilen in die größten Städte des Staates reisen, um eine ungewollte Schwangerschaft medizinisch fachgerecht abbrechen zu lassen.
Wie viele andere Abtreibungspraxen konnte „Whole Woman’s Health“ die zusätzlichen Auflagen nicht erfüllen, die das texanische Parlament im vergangenen Sommer beschlossen hatte. Die Gerichte prüfen zwar noch die Vereinbarkeit des Gesetzes mit der amerikanischen Verfassung, aber die Praxen dürfen ihren Betrieb für die Dauer des Rechtsstreits nicht aufrechterhalten. Von den 41 Abtreibungskliniken, an die sich Frauen in Texas noch vor zwei Jahren wenden konnten, sind heute nur noch 19 geöffnet. Und wenn im September der zweite Teil des Gesetzes in Kraft tritt, werden fürs Erste nur noch sechs übrig sein.
Texas ist dabei nur ein Schauplatz des amerikanischen Dauerstreits zwischen dem „Pro Life“- und dem „Pro Choice“-Lager, also den Schützern des ungeborenen Lebens und den Verfechtern des Wahlrechts der Frau. Die Obersten Richter in Washington hatten ihr Machtwort zwar schon vor gut 41 Jahren gesprochen. Nach dem damaligen Urteil des Supreme Court im Fall Roe gegen Wade dürfen die Bundesstaaten das Recht einer Frau auf Abtreibung nicht einschränken, solange der Fötus noch nicht außerhalb der Gebärmutter lebensfähig wäre, was für die ersten 24 Schwangerschaftswochen angenommen wurde. Doch die Grenzen der höchstinstanzlichen Rechtsprechung sind seither immer wieder ausgetestet worden. Irgendein Bundesstaat erlässt immer irgendein Gesetz, das dann vor Gerichten angefochten wird.
Texas ist besonders weit vorgeprescht
Derzeit vergeht kaum eine Woche, ohne dass sich Bundesrichter über die Frage zu beugen haben, wie schwer es die Staaten schwangeren Frauen machen dürfen, ihr Recht auf Abtreibung in Anspruch zu nehmen. Lobbygruppen beider Seiten bestätigen, dass es in den Jahren nach den Wahlsiegen der von der Tea Party beflügelten Republikaner Ende 2010 eine regelrechte Explosion einschränkender Gesetzgebung gegeben habe. Allein 2013 beschlossen 22 Staaten insgesamt 70 solcher Gesetze.
Wie es sich für eine konservative Bastion gehört, ist Texas besonders weit vorangeprescht. Nicht nur wurde die Frist, innerhalb deren ein Schwangerschaftsabbruch legal ist, auf die ersten 20 Wochen nach Ende des letzten Menstruationszyklus der Patientin verkürzt – was auch andere Bundesstaaten beschlossen haben. Zur plötzlichen Schließung der 22 Abtreibungspraxen im zweitgrößten Bundesstaat führte vielmehr die Anforderung an Mediziner, sich in einem maximal 30 Meilen entfernten Krankenhaus als behandelnde Ärzte anerkennen zu lassen. Dadurch soll gewährleistet sein, dass Patientinnen im Falle eines Zwischenfalls in einer großen Klinik von ihrem Arzt weiterbehandelt werden können.