Alltag der Mormonen in Utah : Für alle Ewigkeit
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Seit Elisa zwölf Jahre alt und „tempelwürdig“ wurde, ist sie zigmal im Namen verstorbener Vorfahren ins Taufbecken gestiegen, um den Ahnen postum einen Platz in ihrer Kirche zu verschaffen. Ist es denn nicht vermessen, einen Menschen nach Mormonenritus zu taufen, der womöglich längst verstorben war, als alles begann? Der sein Leben gelebt hatte, noch bevor Joseph Smith der Engel Moroni erschien, bevor Smith 1827 heilige Goldplatten mit Hieroglyphen gefunden und übersetzt haben will, bevor er die Lehre verbreitete, lange vor Christi Geburt hätten sich Israeliten in Amerika niedergelassen, bevor schließlich die große Hatz auf die Mormonen begann, Religionsgründer Smith 1844 gelyncht wurde und der neue Prophet Brigham Young die Gläubigen zum Großen Salzsee im Wilden Westen führte? Die Kirche antwortet, es stehe „den Seelen im Jenseits völlig frei, eine solche Taufe anzunehmen oder abzulehnen“. Elisa Scharton antwortet: „Wenn eine Stadt einen Platz nach einem verstorbenen Präsidenten benennt, kann der sich auch nicht dagegen wehren.“
Die Granittürme recken sich stolz den Berggipfeln entgegen
Ihre Ehe mit dem Mann, den sie im Blog nur „Jefe“ nennt, wurde im Tempel „gesiegelt“. Das gibt Elisa Scharton die Sicherheit, mit ihrer Familie über den Tod hinaus zusammenzubleiben. Sie berichtet vom Tagebuch ihrer verstorbenen Großmutter, sie nennt es ihren „wertvollsten Besitz“, und da schießen ihr Tränen in die Augen. Je mehr Einzelheiten sie vom Leben ihrer Oma weiß, desto enger erscheint ihr die ewige Verbindung. Immer noch voller Rührung erzählt sie dann vom Fotoalbum einer Großtante, die sie nie kannte. „Ich schaue es oft durch, aber leider ist nichts beschriftet. Das ist so traurig, denn ich bin mir ganz sicher, dass wir gute Freundinnen sein könnten.“ Dann fasst sich die 41 Jahre alte Frau wieder. „Auch ich sterbe eines Tages. Ich blogge für meine Kinder und Kindeskinder.“
An den Kommentaren kann Elisa Scharton ablesen, dass immer mehr Nicht-Mormonen ihre Blogs durchstöbern. Sie spricht vom „Mitt-Romney-Effekt“: „Bei uns können die neuen Neugierigen durchs Schlüsselloch linsen.“ Im Lager des republikanischen Präsidentschaftskandidaten hofft man, dass der frühere Mormonenmissionar und -bischof auch den Wahlkampf durchsteht, ohne sich für seinen Glauben noch groß rechtfertigen zu müssen. Doch in einer neuen Umfrage hat jeder sechste Befragte bekundet, keinen Mormonen im Weißen Haus sehen zu wollen.
Auch Brandon Burton hat Erhebungen in der Schublade, die Romney Sorgen machen müssten: Nicht nur linksliberale Säkularisten, sondern auch gottesfürchtige Stammwähler der Republikaner halten seine Religion für einen suspekten Kult. Burton leitet im kircheneigenen Medienkonzern die Werbeagentur und weiß, dass viele Amerikaner beispielsweise kaum zur Kenntnis nehmen, dass die mormonische Hauptkirche ihren Mitgliedern die Vielweiberei schon vor einem Jahrhundert ausgetrieben hat. „Hier in der Salt-Lake-City-Blase kann man sich leicht einbilden, dass alles gut ist“, sagt Burton und blickt aus seinem Fenster. Zwischen Kongresszentrum, Museum, Bibliothek und Kirchenverwaltung recken sich die sechs weißen Granittürme des Tempels stolz den schneebedeckten Berggipfeln entgegen.