Islamistischer Terrorismus : Moskau spielt gern mit dem Feuer
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Ausbildung zum Dschihad. Bild: AFP
Der Kreml verdreht im Ukrainekonflikt nicht zum ersten Mal Kausalketten. Auch Al Qaida entstand als Folge russischer Aggression und saudischer Ideologie. Den Preis zahlt die Welt bis heute: im Kampf gegen den Terror.
Die Welt blickt seit Monaten auf die Ukraine. Doch auch der Bürgerkrieg in Syrien wird die Welt noch lange beschäftigen. Denn er hat das größte Flüchtlingsdrama seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst, und er ist zu einem Produzenten von Dschihadisten geworden, die heute den Nahen Osten bedrohen und morgen die Welt. Das Terrornetz Al Qaida hatte im vergangenen Jahrzehnt seine Schlagkraft und Anziehungskraft eingebüßt; heute ist es zurück. Moskau hat seinen Anteil daran.
Der Bogen seines Terrors spannt sich im Norden von Afghanistan über den Irak nach Syrien, im Süden vom Jemen über Somalia nach Mali und Nigeria in die Sahara hinein. Auch wenn die Befehlshierarchie flach und vieles, was sich Al Qaida nennt, nicht direkt miteinander verbunden ist: Noch nie haben unter diesem Namen so viele Bewaffnete Terror verbreitet, noch nie haben sie in so vielen Regionen ihre schwarze Flagge des Schreckens gehisst.
Der Krieg gegen den Terror gleicht dem Kampf gegen die Hydra. Ist ein Kopf abgeschlagen, wachsen zwei nach. Der Terror ist heute international, er richtet sich gegen den Westen und gegen Nichtmuslime, aber auch gegen gemäßigte Muslime. Dabei hat der moderne Dschihad lediglich als ein lokaler Widerstand in Afghanistan begonnen.
Entstanden ist er aus dem Zusammentreffen zweier Faktoren: saudischer Ideologie und russischer Aggression. Die von Saudi-Arabien verbreitete Version des Islam behauptet, allen anderen Muslimen und vor allem den Nichtmuslimen überlegen zu sein. Aus diesem wahhabitischen Islam leiteten und leiten Extremisten das Recht ab, gegen die „Ungläubigen“ auch mit Gewalt vorgehen zu dürfen. Erst der Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan mobilisierte vom wahhabitischen Islam geblendete Araber und lieferte den islamistischen Gotteskriegern ein Betätigungsfeld. Mehrere Tausend sogenannte „Mudschahedin“ kämpften - unterstützt durch die Vereinigten Staaten - gegen die militärisch überlegene Rote Armee, demütigten sie und zwangen sie zum Rückzug.
Massaker, statt friedlichen Mitteln
Früchte des sowjetischen Einmarsches von 1979 sind die afghanischen Taliban und die „afghanischen Araber“, die sich seit 1987 den Namen „Al Qaida“ geben. Diese Araber, überwiegend von der Arabischen Halbinsel und aus Nordafrika, bildeten später das Rückgrat von Al Qaida im Irak.
Von dort setzt sich ihr Terrornetz heute entlang des Euphrat nach Syrien fort. Auch das zweite große Reservoir von Dschihadisten in Syrien verdankt seine Entstehung einer russischen Aggression: Die beiden sinnlosen Tschetschenen-Kriege Moskaus haben seit 1994 mehrere Tausend Dschihadisten hervorgebracht, die zu aller Gewalt fähig sind.
Moskau setzte auch im Kaukasus auf die Abschreckung durch Massaker, anstatt lokale Unzufriedenheit mit Mitteln der Politik friedlich beizulegen. Wer Bilder von der völlig zerstörten Stadt Grosnyj vor Augen hat, kann sich vorstellen, dass die Kriege eine Schule für die islamistische Guerrilla waren. In beiden Kriegen sollen bis zu 150 000 Menschen getötet worden sein.
Immer mehr Kaukasier wurden nicht mehr von nationalistischen Gefühlen geleitet, sondern folgten der Ideologie des Dschihad. Der Konflikt zog auch Dschihadisten aus anderen Ländern an, die meist zuvor Ausbildungslager in Afghanistan durchlaufen hatten. Von dort schickte Usama Bin Ladin Geld an die Rebellenführer in Tschetschenien und Dagestan; denn sie sollten einen islamischen Staat nach dem Vorbild der Taliban in Afghanistan errichten. Doku Umarow, auf den sich viele Dschihadisten in Syrien berufen, proklamierte sein „Emirat Kaukasus“ und rief zum globalen Dschihad auf.
Den Preis hat die ganze Welt zu zahlen
Im Norden Syriens kämpfen mutmaßlich mehr Dschihadisten aus dem Kaukasus als aus anderen arabischen Ländern zusammen. Die meisten „Emire“ auf syrischem Boden sind Tschetschenen oder Angehörige anderer muslimischer Kaukasusvölker. In Syrien führen sie einen doppelten Krieg: für die Errichtung „islamischer Staaten“ und gegen den russischen Präsidenten Putin, den wichtigsten Verbündeten des syrischen Präsidenten Assad.
Die Regierungen in Moskau haben in Afghanistan wie in Tschetschenien hohe Verluste erlitten. Den Preis für beide Kriege hat aber die ganze Welt zu zahlen. Gebetsmühlenhaft behauptet der Kreml, Russland werde durch den islamistischen Terror herausgefordert und müsse mit eiserner Faust zurückschlagen.
Die russische Propaganda verdreht damit die Kausalkette. Ohne saudische Ideologie und Moskaus Politik gäbe es die Hydra Al Qaida nicht. Russland schafft mit seiner Politik nicht nur im eigenen Haus und dem eigenen Hinterhof - wie in der Ukraine - Instabilität. Sein Spiel mit dem Feuer gefährdet auch den Westen.