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Nigerias Zwiespalt : Wo die Scharia optional ist

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Emirat und Bundesstaat zugleich: Nigerianische Muslime beim Freitagsgebet in Kano. Bild: William Daniels/PANOS/VISUM

Mit über 180 Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Immer wieder kommt es zu Kämpfen zwischen Christen und Muslimen. Dabei geht es meist aber nicht um einen Konflikt zwischen Religionen.

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          Abdullateef Onaga gehört zur Ethnie der Yoruba aus dem christlichen Süden Nigerias. Gleichwohl ist er Muslim. Die Familie lebt schon so lange in der muslimischen Großstadt Kano im Norden des Landes, da sei der Konfessionswechsel „irgendwie automatisch erfolgt“, erzählt er. Als Muslim hat sich Abdullateef Onaga das Rauchen abgewöhnt, nicht aber den Alkohol. Nach Mekka zu pilgern käme ihm nie in den Sinn. New York findet er spannender. Trifft sich die Yoruba-Großfamilie bei einer Hochzeit, einer Taufe oder einer Beerdigung, ist sie zweigeteilt in Christen und Muslime. Ein Thema aber, so erzählt Abdullateef Onaga, sei das nie. „Wir reden einfach nicht darüber, weil es uns so unwichtig erscheint“, sagt er.

          So kompliziert die Yoruba-Familie Onaga im Kleinen scheint, so kompliziert ist das ebenso christlich wie muslimisch geprägte Nigeria als Ganzes. Dabei gibt es nicht einmal verlässliche Zahlen über die Größe der Konfessionsgruppen. Manche Quellen behaupten, von den rund 180 Millionen Nigerianern seien 45 Prozent Muslime. Andere Quellen sprechen von deutlich mehr als 50 Prozent. Fest steht aber, dass es zwischen Christen und Muslimen häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt und dabei regelmäßig hohe Opferzahlen zu beklagen sind. Der Konflikt ist real, wenngleich er unter falschem Etikett firmiert. Die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen sind weniger religiös als ethnisch motiviert, wobei die Trennlinie eine äußerst unscharfe ist.

          Seit dem 9. Jahrhundert existiert der Islam in Nigeria, seine Blütezeit erlebte er im 16. Jahrhundert, als die wichtigsten Städte des Kontinents Mopti im heutigen Mali, die beiden nigerianischen Städte Kano und Kaduna sowie das sudanesische Khartum waren. Entlang dieser Route verlief der Handel in dieser Zeit, dort wurde Wohlstand geschaffen. Mit der Ankunft der Europäer an den Küsten verlagerten sich die Handelswege. Statt von West nach Ost durch den Sahel verliefen die Routen plötzlich von Norden nach Süden an die Küsten, womit die dortigen Ethnien und die christlichen Missionare erheblich an Einfluss gewannen.

          Doppelte Rechtsprechung

          Diese Rivalität zwischen Norden und Süden, die sich übrigens überall entlang des Golfes von Guinea beobachten lässt, gewann durch die Ölförderung im Niger-Delta zusätzlich an Dynamik. Den Christen im Süden Nigerias sind die Transferzahlungen in den muslimischen Norden seit langem ein Dorn im Auge. Doch im Grunde sind die ethnischen Rivalitäten, die in Nigeria stets um die konfessionelle Note verschärft werden, nichts anderes als Ausdruck von Staatsversagen. Weil der Staat als Organisator und Verteiler ausfällt, übernimmt die eigene Ethnie die Aufgabe des sozialen Sicherheitsnetzes.

          Dabei hat Nigeria zumindest auf dem Papier seiner ethnischen und religiösen Vielfalt Rechnung getragen. So verfügt das Land über zwei Rechtsprechungen: eine laizistische, die auf britischem Recht basiert, und die Scharia, die in zwölf der insgesamt 36 Bundesstaaten in bestimmten Rechtsbereichen Gültigkeit hat. Bei Kapitalverbrechen wird das landesweit gültige Strafrecht angewandt, für mindere Delikte in den muslimischen Bundesstaaten die Scharia. Tatsächlich dürfen die Bewohner dort wählen, welcher Rechtsprechung sie sich unterwerfen wollen. Ist einer der Opponenten nicht mit dem Scharia-Richter einverstanden, kommt der Fall vor ein weltliches Gericht. Insbesondere bei Eigentumsdelikten ist es aber häufig so, dass sich auch Christen den Scharia-Richtern anvertrauen.

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