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Kampf gegen Fluchtursachen : Wir werden afrikanischer

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Angela Merkel mit der Vorsitzenden der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, und dem äthiopischen Premierminister Hailemariam Desalegn in Addis Abeba Bild: AFP

Wie kann der Zug von Flüchtlingen aus Afrika nach Europa gestoppt werden? Bei der Lösung dieser Aufgabe geht es um Demographie und Arbeitsplätze. Ein Kommentar.

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          50 Millionen Menschen: Das ist die Zahl, die immer wieder genannt wird, wenn es darum geht, die kommenden Flüchtlingsströme allein aus Afrika zu quantifizieren. Wie verlässlich diese Prognose ist, weiß niemand. Auch gibt es Streit über die Methode, die zu ihrer Ermittlung angewandt wird. Fest steht trotzdem: Europa und insbesondere Deutschland haben mit der Ankunft von mehr als einer Million Flüchtlingen im vergangenen Jahr lediglich den Anfang einer Bewegung gesehen, die umwälzende demographische, politische und wirtschaftliche Folgen haben wird.

          Seither reagiert man in Berlin verschreckt auf jede neue vermeintliche Hiobsbotschaft. Als beispielsweise die kenianische Regierung vor einigen Monaten beschloss, das größte Flüchtlingslager der Welt zu schließen und die Menschen zurück nach Somalia zu schicken, wurden im Auswärtigen Amt sogleich „Stabilisierungskonzepte“ für das kriegsgebeutelte Land erarbeitet. Auch die Afrika-Reise der Kanzlerin, die sie jetzt nach Mali, Niger und an den Sitz der Afrikanischen Union in Äthiopien führt, hat nur dieses eine Ziel: Wie schaffen wir es, den drohenden Ansturm auf unseren Wohlstand zu verhindern? Eine der Möglichkeiten wäre, mit „Nettoexporteuren“ von Flüchtlingen Abkommen wie mit der Türkei zu schließen, also Geld auszugeben im Austausch gegen dichte Grenzen. Viel Aussicht auf Erfolg hätten solche Abkommen angesichts der allgegenwärtigen Korruption in Afrika aber kaum. Zudem spielt der Exodus vor allem junger Menschen vielen afrikanischen Regierungen in die Hände, weil sie den sozialen Druck mindern, den Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit erzeugen.

          Eine zweite Schiene ist die einer verstärkten Entwicklungshilfe. In Mali sprach Merkel davon, dass militärische Hilfe wie etwa die der Bundeswehr im Kampf gegen die radikalen Islamisten mit entsprechender Entwicklungshilfe einhergehen müsse, um dem Land wieder auf die Beine zu helfen. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht richtungsweisend für die gegenwärtigen Probleme. Denn wenn Entwicklungshilfe in ihrer jetzigen Form je etwas genutzt hätte, dann würde heute über ihre Reduzierung diskutiert statt über ihre Erhöhung.

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          Hilfreicher ist ein nüchterner Blick auf die Ursachen der Migrationswellen. Das sind in Afrika weder Krieg noch Konflikte, sondern in erster Linie eine Arbeitslosigkeit, die wiederum dem Bevölkerungswachstum geschuldet ist. Die Bevölkerung wächst nahezu überall schneller als die Wirtschaft. Das durchschnittliche Bevölkerungswachstum liegt bei drei Prozent, das durchschnittliche Wirtschaftswachstum bei erfreulichen vier Prozent. Um aber die Armut wirksam zu bekämpfen, müsste das Wirtschaftswachstum mindestens doppelt so hoch sein wie das Bevölkerungswachstum.

          Einige afrikanische Regierungen, insbesondere die im frankophonen Westafrika, versuchen, offensiv mit dem galoppierenden Bevölkerungswachstum umzugehen, und investieren in die Bildung von Mädchen und werben für eine Zwei-Kinder-Familie. Anderen ist das Thema völlig gleichgültig. In Tansania beispielsweise verdoppelt sich die Bevölkerung alle 16 Jahre, weil es zum guten Ton gehört, ein „gut gefülltes Haus“ zu haben.

          Deshalb muss jeder Versuch, die Migration zu stoppen, den demographischen Faktor als Ankerpunkt haben. Es geht schlichtweg darum, Millionen von Jobs zu schaffen. Eine Lebensperspektive ist die beste Garantie, Menschen daran zu hindern, ihr Bündel zu schnüren. Leider ist das kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon. In einer ersten Phase würde die Steigerung der Kaufkraft in Afrika sogar zu einem Anschwellen der Flüchtlingszahlen führen, weil mehr Menschen den Preis für die Passage zahlen könnten.

          Trotzdem scheint dies der einzig gangbare Weg, zumal Afrika über einen Wirtschaftszweig verfügt, der schnell viele Arbeitsplätze schaffen könnte: die Landwirtschaft. Afrika verfügt über 400 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche. Das entspricht der Hälfte von Australien. Kultiviert werden aber nur zehn Prozent davon. Das fruchtbare Afrika kann sich selbst nicht ernähren und gibt jedes Jahr 40 Milliarden Dollar für den Import von Lebensmitteln aus. Diese Summe würde vermutlich reichen, um eine funktionierende Landwirtschaft mit verlässlichen Wertschöpfungsketten aufzubauen. Dafür braucht es neben dem landwirtschaftlichen Fachwissen Zugang zu Bankkrediten, Straßen für die Lastwagen, Kühlhäuser für die Produkte und nicht zuletzt den Abbau der teilweise grotesk anmutenden Handelsbarrieren innerhalb Afrikas. Mit einem Blick auf die Geschichte der Europäischen Union klingt das alles sehr vertraut, und vermutlich ist deshalb niemand besser geeignet, Afrika auf diesem Weg zu helfen, als die Europäer. Die Bedingung allerdings wäre, dass sich Afrika überhaupt helfen lässt.

          Dass es Europa gelingen wird, den Flüchtlingsstrom aus Afrika zu stoppen, ist gleichwohl eine Illusion. Dafür sind die Probleme auf dem Kontinent zu groß, das Bewusstsein darum zu gering und die Zeit einfach zu knapp. Wir werden damit leben müssen, dass unsere Welt auf absehbare Zeit deutlich afrikanischer geprägt sein wird.

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