Boko Haram in Nigeria : Vehikel des Terrors
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Bittere Gewohnheit: Nach einem Anschlag von Boko Haram in Maiduguri Bild: REUTERS
Wieder tötet Boko Haram Hunderte. Die Islamisten treiben mittlerweile eher die Armee vor sich her als umgekehrt. Warum ist dem Terror nicht beizukommen? Eine Antwort gibt Nigerias Innenpolitik.
Selbst für nigerianische Verhältnisse war das vergangene Wochenende extrem blutig: Zwischen Freitag und Sonntagabend starben im Norden des Landes vermutlich mehr als 60 Menschen bei einem Bombenanschlag und mehreren Feuerüberfällen, die mutmaßlich alle von der radikal-islamischen Sekte Boko Haram verübt wurden. Am schlimmsten traf es die Ortschaft Mubi im Bundesstaat Adamawa nahe der Grenze zu Kamerun. Dort explodierte am Sonntagabend ein Sprengsatz bei einem Fußballspiel, wobei nach Angaben von Augenzeugen und Krankenhausmitarbeiter mindestens 40 Menschen getötet wurden. Am Samstag waren im benachbarten Bundesstaat Borno drei Ortschaften überfallen worden, wobei die Angreifer wahllos um sich schossen und nach vorläufigen Informationen mindestens 18 Menschen töteten.
Die offiziellen Zahlen allerdings sind deutlich niedriger. Den Behörden zufolge kamen bei dem Anschlag auf die Zuschauer des Fußballspiels lediglich 14 Menschen ums Leben. Die Überfälle auf die Dörfer Nuwari, Musari und Walori werden erst gar nicht erwähnt. Das ist nicht ungewöhnlich: Seit Beginn des Terrors von Boko Haram im Jahr 2009 sind die nigerianischen Behörden bemüht, die Opferzahlen herunterzuspielen, weil die schiere Zahl der Anschläge und der Toten einem Eingeständnis des eigenen Versagens gleichkommt.
Daran hat auch der Ausnahmezustand nichts geändert, der seit mehr als einem Jahr in den Bundesstaaten Borno, Adamawa und Yobe herrscht. Die Armee begründet ihn mit ihrer Offensive gegen Boko Haram. Die Zahl der Anschläge und Morde aber hat sich seither noch drastisch erhöht. Mittlerweile scheint es so, als ob die Islamisten die Armee vor sich hertreiben und nicht umgekehrt. Nach wie vor etwa hat die nigerianische Armee keine Spur von den Mitte April verschleppten 217 Schulmädchen aus Chibok, wenngleich die Generalität in regelmäßigen Abständen das Gegenteil behauptet. Zuletzt hatte dies Generalstabschef Alex Badeh vor rund zehn Tagen getan, als er öffentlich behauptete, den Aufenthaltsort der Geiseln zu kennen, um diesen gleich zum „Militärgeheimnis“ zu deklarieren.
Ein außer Kontrolle geratener Psychopath
Einen Tag später aber musste sich der Luftmarschall eine Ohrfeige des amerikanischen Verteidigungsministeriums gefallen lassen, das 80 Soldaten einer Aufklärungseinheit im benachbarten Tschad stationiert hat und die Aussage des obersten nigerianischen Soldaten als „wenig glaubwürdig“ bezeichnete. Die Islamisten tragen nigerianische Armeeuniformen, um sich Zugang zu Kasernen zu verschaffen. Sie fahren in den Dörfern mit Militärlastwagen vor, um die Opfer glauben zu lassen, sie seien die „Guten“. Man darf sich inzwischen fragen, wie die Terroristen an all das gelangt sind, wenn es nicht die seit geraumer Zeit vermuteten, heimlichen Absprachen mit Offizieren der Armee gibt.
Hinzu kommt, dass der mutmaßliche Anführer von Boko Haram, Abubakar Shekau, in seinen Videobotschaften nicht den Eindruck eines kühlen Strategen vermittelt, wie ihn etwa Usama Bin Ladin machte, sondern vielmehr den eines außer Kontrolle geratenen Psychopathen mit hohem Geltungsdrang. Warum ist diesem Irren nicht beizukommen? Die Antwort darauf findet sich unter anderem in der nigerianischen Innenpolitik. Nigeria wählt im kommenden Jahr einen neuen Präsidenten. Der umstrittene Amtsinhaber Goodluck Jonathan hat angekündigt, abermals zu kandidieren.
Alle gegen Jonathan
Das Establishment im muslimischen Norden indes will Jonathan loswerden, weil er ein Christ aus dem Süden ist. Das christliche Establishment im Süden wiederum ist ebenfalls nicht gut auf Jonathan zu sprechen, weil der Präsident zumindest versucht hatte, die endemische Korruption in Nigeria in den Griff zu bekommen. Beiden Gruppen geht es inzwischen nur noch darum, Jonathan im tagespolitischen Geschäft möglichst schlecht aussehen zu lassen. Das Vehikel dafür ist der Terror von Boko Haram.
Wie das funktioniert, demonstrierte zuletzt der im Westen aus unerfindlichen Gründen hochgelobte, ehemalige Präsident Olusegun Obasanjo, als er ungefragt Verhandlungen mit Boko Haram über einen Austausch von Geiseln gegen inhaftierte Islamisten aufnahm, wohl wissend, dass Jonathan einen solchen Handel kategorisch ausgeschlossen hatte.
Angeblich hatte Obasanjo eine Einigung erzielt, die am Widerstand Jonathans scheiterte. Vielleicht behauptet er das auch nur, denn Obasanjo ist ein erbitterter politischer Gegner Jonathans. Von dieser Warte aus betrachtet, muss sein Manöver als erfolgreich betrachtet werden: Jonathan stand in der Öffentlichkeit wieder einmal als inkompetenter Zauderer dar.