Ägypten : Sisis Referendum
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Starker Mann geht voran: Armeechef Abd al Fattah al Sisi in seinem Wahllokal Bild: dpa
Auch am Tag der Abstimmung über die neue Verfassung gibt es Tote in Ägypten. Zugleich wird überall Armeechef Abd al Fattah al Sisi gefeiert. Die Stimmung ist eindeutig, Debatten vor den Wahllokalen gibt es nicht mehr.
Freudig winkt das kleine Mädchen von dem Panzer herab. Ein Soldat hat es in den Arm genommen, von unten schießen die Eltern Fotos. Über dem bunten Kleid des Kindes baumelt ein Plastikschild mit dem Bild des Armeechefs. General Abd al Fattah al Sisi, wohin man blickt – an Kinderhälsen, in den Händen von Männern und auf Plakaten, die von Frauen in die Höhe gereckt werden. Mehr als hundert Menschen haben sich an diesem Dienstagnachmittag vor dem Wahllokal an der Pyramidenstraße von Gizeh versammelt. Immer wieder stimmen sie Sprechchöre zu Ehren der ägyptischen Streitkräfte an. „Armee und Polizei und Volk Hand in Hand!“, rufen sie. Und: „Ja zu Sisi!“ Gizeh auf der Westseite des Nils ist eine Hochburg der Muslimbruderschaft. Hier wird Woche für Woche gegen die vom Militär eingesetzte Regierung demonstriert.
Doch von den Islamisten ist an diesem Wahltag nichts zu sehen. „Wir sind hier, um zu verhindern, dass die Muslimbrüder die Straße übernehmen“, sagt eine der Frauen, die sich auf dem Mittelstreifen gegenüber dem Wahllokal versammelt haben. Nie wieder werde das Land in die Hände der Bruderschaft fallen, das wahre Ägypten sei das der Armee. Und das wahre Ägypten habe sich heute hier versammelt.
Hoffnung auf Stabilität
Nicht nur der Einfluss religiöser Gruppierungen wird in der neuen Verfassung beschnitten. Das Papier sichert auch dem mächtigen Militär viele Privilegien zu, welche die Revolutionäre, die gegen Husni Mubarak auf die Straße gegangen waren, der Armee gerne streitig gemacht hätten. Artikel 234 gibt der Armeeführung das Recht, auch in den nächsten acht Jahren über den Verteidigungsminister zu entscheiden. Artikel 204 erlaubt weiterhin Prozesse gegen Zivilisten vor Militärgerichten. Anders als viele Demokratieaktivisten, die dem Referendum heute aus Protest fernbleiben, sehen die in Gizeh versammelten Verfassungsbefürworter darin kein Problem.
Auch Saha Lozy ist nach der Stimmabgabe an der Pyramidenstraße geblieben, um die Polizeistation im Unruhestadtteil Gizeh vor Übergriffen durch militante Islamisten zu schützen. Die Gruppe „Studenten gegen den Putsch“ hatte im Vorfeld des Referendums Sabotageakte angekündigt, um die erste Abstimmung seit der Absetzung des islamistischen Präsidenten Muhammad Mursi zu behindern. Nur durch eine starke Beteiligung und Präsenz auch vor den Wahllokalen könne man das verhindern, sagt die Mutter dreier Söhne. In der Hand hält sie Flugblätter, die für den Armeechef als Präsidenten werben. Nur Sisi könne das Land zurück zur Stabilität führen, sagt sie. „Wir sagen ja zur Verfassung, ja zu Sisi und nein zur Muslimbruderschaft.“
Exilägypter stimmen zu
Als ein Konvoi der Sicherheitskräfte das Wahllokal passiert, stürmen die Menschen auf den Mittelstreifen und jubeln den Beamten am Steuer zu. Ein vermummter Polizist spreizt die Finger zum Siegeszeichen, sein Kollege auf dem Beifahrersitz verteilt Handküsse. Die Polizei war noch in der Zeit nach dem Aufstand gegen Mubarak verhasst. Der Beifall, den sie jetzt bekommen, muss Balsam für die Seele der Polizeikräfte sein. Sandsäcke türmen sich auf den hohen Mauern der Polizeistation, die direkt neben der Schule liegt, in der heute über Ägyptens neue Verfassung abgestimmt wird. Oben sitzt ein Mann in schwarzer Uniform mit Gewehr in der Hand, gepanzerte Armeefahrzeuge stehen vor der Wache. Dutzende Polizisten haben seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Muhammad Mursi im vergangenen Sommer bei Angriffen und Anschlägen vor allem auf der Sinai-Halbinsel ihr Leben verloren.
Am frühen Nachmittag brechen am Rande Kairos Straßenschlachten zwischen Mursi-Anhängern und Gefolgsleuten des Armeechefs aus, ein Todesopfer wird gemeldet. Drei Demonstranten werden getötet, als die Sicherheitskräfte einen Protestzug im oberägyptischen Sohag gewaltsam auflösen. Seit Jahresbeginn sind bei Protesten mehr als zwanzig Menschen getötet worden, seit dem Sturz Mursis im Juli 2013 weit mehr als 1300. Die Mursi-Anhänger wollen trotzdem nicht klein beigeben.
Wie viele Menschen dem Boykottaufruf der Muslimbruderschaft folgten, lässt sich am ersten Tag des Referendums noch nicht sagen. Die Wahlkommission spricht am frühen Nachmittag von einer „riesigen Wahlbeteiligung“. Die Ergebnisse sollen am Wochenende bekanntgegeben werden. Die vorläufige Auszählung der Stimmen der Exilägypter ergab zwar eine deutliche Zustimmung für die Verfassung – aber eine ernüchternde Wahlbeteiligung von nur 15 Prozent. Im Dezember 2012 hatten immerhin 32,8 Prozent der Wahlbeteiligten an dem Referendum über die von Mursi-Gefolgsleuten erarbeitete Verfassung teilgenommen; 10,7 Millionen Wähler stimmten mit Ja.
Einigkeit an der Urne
Und so friedlich wie vor der Schule an der Pyramidenstraße geht es am ersten Tag des Verfassungsreferendums längst nicht überall zu. Eine Stunde vor Eröffnung der Wahllokale detoniert vor einem Gerichtsgebäude in Gizeh eine Bombe, nur wenige Kilometer vom Treffpunkt der Sisi-Verehrer entfernt. 130.000 Polizisten und Soldaten sollen auch an diesem Mittwoch noch im ganzen Land aufmarschieren, um den friedlichen Verlauf der Abstimmung über die neue Verfassung zu sichern.
Im Oberschichtviertel Maadi auf der anderen Seite des Nils äußert sich ein Beamter in Zivil am Nachmittag zufrieden über den Wahlverlauf. Vor einem Jahr hätten zum selben Zeitpunkt weitaus weniger Menschen ihre Stimmen abgegeben. Allerdings, das gesteht er ein, sei damals auch mehr gestritten worden in den langen Schlangen.
Diskussionen gibt es nicht auf dem Hof der Grundschule in Gizeh. Keiner der befragten Wähler stimmt hier mit Nein. Widerspruch gegen die neue Verfassung und das herrschende Regime findet sich nur an den hohen Mauern rund um das Schulgebäude, an dem jeden Freitag die Protestzüge der Islamisten vorbeiziehen. „Sisi ist ein Mörder“, „Mursi ist mein Präsident“ und „Nein zur Verfassung“ steht da.