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Afghanistan-Debatte : Der Westen überschätzt sich

  • -Aktualisiert am

Bundeskanzlerin Angela Merkel redet im Bundestag zur Lage in Afghanistan. Bild: AP

Eine ehrliche und nüchterne Debatte über den Einsatz am Hindukusch gab es in Deutschland nicht. Aus dem Kabuler Debakel müssen Lehren gezogen werden.

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          Im Nachhinein ist man immer schlauer, da hat die Bundeskanzlerin recht. Das Scheitern in Afghanistan ist heute so offensichtlich, dass die Opposition leicht von einem „außenpolitischen Desaster“ (Baerbock), „Unverantwortlichkeit und Handlungsunfähigkeit“ (Lindner) oder vom „schwärzesten Punkt“ in Merkels Amtszeit (Bartsch) reden kann. Es ist ja auch Wahlkampf.

          Aber gab es in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren je eine ehrliche und nüchterne Debatte über die Zustände und Aussichten in Afghanistan? Hat nicht der Bundestag den Einsatz immer wieder verlängert, mit großen Mehrheiten und unter wechselnden Koalitionen? Und wer hat sich für Details interessiert, als Trump im vergangenen Jahr einen Handel mit den Taliban einging, der sich heute als Anfang vom Ende des westlichen Modernisierungsprojekts am Hindukusch erweist?

          Nur vage Ideen in Berlin

          Die Wahrheit ist, dass der Afghanistan-Einsatz in der deutschen Politik schon lange keine Priorität mehr besaß. Deutschland war am Ende der zweitgrößte Truppensteller, weil andere sich schon ganz oder teilweise zurückgezogen hatten. Aber mehr als die vage Idee, dass man vielleicht noch eine Wahl in Afghanistan absichern könne, hatte man in Berlin auch nicht.

          Es ist, wie Merkel es sagt: Als klar war, dass Biden den Abzug seines Vorgängers vollziehen würde, schien es unklug zu sein, Ortskräfte in großer Zahl nach Deutschland zu holen, weil das unter anderem die Entwicklungshilfe gefährdet hätte. Heute weiß man es besser. Regierungen sind aber keine Hellseher, sie müssen Entscheidungen auf der Grundlage der aktuellen Lage treffen.

          Dass genau die falsch eingeschätzt wurde, ist das, was man der Bundesregierung, der amerikanischen Führung, der NATO und vielen anderen vorwerfen kann. Das fing aber nicht in diesem Frühjahr an, und es betrifft nicht nur die jetzt viel gescholtenen Nachrichtendienste.

          In Afghanistan (und anderswo) hat der Westen seine transformatorischen Kräfte dramatisch überschätzt. Daraus Lehren für die deutsche Außenpolitik zu ziehen ist der Auftrag aus dem Kabuler Debakel.

          Nikolas Busse
          Verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik.

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