Ägypten : Anspannung vor der Wahl
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Von einem „Putsch“ sprach Muhammad al Biltagi. Er ist Abgeordneter der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der islamistischen Muslimbruderschaft im ägyptischen Parlament, das erst vor gut einem halben Jahr gewählt wurde und jetzt aufgrund eines Urteils des ägyptischen Verfassungsgerichts schon wieder aufgelöst werden soll. Biltagi war nicht der einzige, der dieses Wort in den Mund nahm. Auch zahlreiche Vertreter der sogenannten revolutionären Kräfte sprachen von einem sanften Staatsstreich des Militärs. „Den Kandidaten des Militärs zu stützen und das gewählte Parlament stürzen, nachdem die Militärpolizei zu Festnahmen ermächtigt wurde, ist ein Putsch“, äußerte etwa der aus dem Präsidentschaftsrennen ausgeschiedene moderate Islamist Abd al Monem Abul Futuh.
Das Hohe Verfassungsgericht hatte am Donnerstag die Parlamentswahl teilweise für nichtig erklärt, zugleich aber die Kandidatur des alten Mubarak-Gewährsmannes Ahmed Schafik zur Stichwahl um das Präsidentenamt an diesem Wochenende für rechtens erklärt. Schon am Mittwoch hatte Justizminister Adem Abd al Hamid per Dekret Soldaten und Mitarbeiter des Armeegeheimdienstes ermächtigt, auch Zivilisten wegen einer Vielzahl von Vergehen festzunehmen - dazu gehören etwa Widerstand gegen die Staatsgewalt oder das Blockieren des Verkehrs. Das war dem Militär nach der symbolträchtigen Aufhebung des Ausnahmezustands untersagt. Es gehe darum, dem Chaos entgegenzutreten, hieß es zur Begründung. Gelten soll der Erlass, bis eine neue Verfassung gilt, was noch viele Monate dauern kann.
Versprechen an die Jugend: Reformen und Meinungsfreiheit
Als dann einen Tag später die Entscheidung des Verfassungsgerichtes bekannt wurde, sahen sich die Kritiker des regierenden Militärrates endgültig in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Generäle die Macht wieder an sich reißen wollen. Die Militärführung unter Feldmarschall Muhammad Hussein Tantawi hat ihre Macht vor der entscheidenden Wahlrunde zumindest deutlich ausgeweitet. Sie hat Zeit gewonnen, weil sie jetzt womöglich nicht - wie eigentlich angekündigt - die ganze Macht bis zum 1. Juli abgeben muss. Gerichtspräsident Faruk Sultan, wie die anderen Richter ein Mann aus der Ära Mubaraks, hatte angekündigt, dass der Militärrat die Legislative an sich ziehen werde, bis ein neues Unterhaus gewählt ist.
Ahmed Shafik triumphierte. Der ehemalige Luftwaffenchef und letzte Ministerpräsident Mubaraks aus Revolutionstagen ließ sich wenige Stunden nach dem Urteilsspruch von seinen Anhängern feiern und gab sich staatsmännisch, als habe er die Wahl schon gewonnen. Der Jugend versprach er Reformen und Meinungsfreiheit, der vom Chaos dieser Tage erschöpften Bevölkerung Ruhe, Stabilität und Wohlstand. Die Zeit, in der Gesetze gemacht würden, um alte Rechnungen zu begleichen, sei nun vorbei, sagte Schafik. Dieser Angriff galt auch der Muslimbruderschaft, denn das von den Islamisten dominierte Parlament hatte jenes Gesetz erlassen, das ranghohe Funktionären des Mubarak-Regime von politischen Ämtern ausschloss. Es war verabschiedet worden, als Leute wie Schafik ihre Kandidatur für die Präsidentenwahl ankündigten.