Abhöraffäre in Polen : Gefährliche Herrenwitze
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Derbe Späße, teure Weine: Radoslaw Sikorski steht neuerdings im Mittelpunkt der Affäre Bild: AFP
Die Abhöraffäre hält Polen in Atem. Derbste Äußerungen über das amerikanisch-polnische Verhältnis bringen Außenminister Sikorski in Erklärungsnot. Für Ministerpräsident Tusk sind die Enthüllungen ein versuchter „Staatsstreich“. Wer steckt dahinter?
Sitzen zwei Herren im Wirtshaus und erzählen Witze: „Kommt ein alter Mann ins Bordell, und die Puffmutter sagt: Sie sind ja heute schon zum dritten Mal da! Antwortet der alte Mann: Verdammt, mit dieser Vergesslichkeit bumse ich mich noch zu Tode.“ Die Herren im Wirtshaus waren nicht irgendwer. Den Witz erzählte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski; sein Gesprächspartner war der ehemalige polnische Finanzminister Jan Vincent Rostowski.
Im vergangenen Januar saßen die Politiker bei Champagner im „Bernsteinzimmer“ des Sobanski-Palais in Warschau zusammen. Was sie nicht wussten: Die Unterhaltung wurde abgehört und ist in ihrer ganzen Pracht seit Montag in der Zeitschrift „Wprost“ nachzulesen. Es war der bisherige Höhepunkt einer Abhöraffäre, die seit Tagen Polen in Atem hält. Zuletzt hat „Wprost“ immer neue Tischgespräche von Ministern und Beamten der politischen Kaste veröffentlicht – alles heimliche Mitschnitte aus Warschauer Edelrestaurants. Schon in der vergangenen Woche hatte eine (ebenfalls im Stile des Altherrenwitzes geführte) Unterhaltung zwischen Zentralbankchef Marek Belka und Innenminister Barolomiej Sienkiewicz Wellen geschlagen.
„Polnisch-amerikanisches Bündnis ist nichts wert“
Jetzt aber hat Sikorski Belka als zentralen Star der Affäre abgelöst. Dazu tragen weniger seine Witze und seine Vorliebe für exorbitant teure Weine bei, die bei dieser Gelegenheit ebenfalls publik wurde, sondern vor allem seine Meinung zu Amerika. „Weißt du“, sagt er zu Rostowski, „das polnisch-amerikanische Bündnis ist nichts wert. Es ist sogar schädlich, denn es schafft ein falsches Gefühl der Sicherheit. Totaler Bullshit. Wir streiten uns mit den Deutschen, mit Russland, und wir glauben, alles ist super, nur weil wir den Amerikanern einen geblasen haben. Schwachköpfe. Totale Schwachköpfe. Das Problem in Polen ist, dass wir zu wenig Stolz haben und zu wenig Selbstwertgefühl. So eine Negerhaftigkeit.“ „Wie, wie?“ fragt Rostowski, als hätte er sich verhört. „Negerhaftigkeit“, bestätigt Sikorski.
Noch ist nicht klar, wer hinter den Enthüllungen steht. Die Zeitschrift „Wprost“ schweigt trotz einer Durchsuchung ihrer Redaktion in der vergangenen Woche eisern, und spricht lediglich von einem „Geschäftsmann“ mit dem Decknamen „Patriot“, der die Aufnahmen übermittelt habe.
Tusk: „Versuchter Staatsstreich“
Die Vermutung steht im Raum, dass ausländische Dienste im Spiel sein könnten. Da Polen bei der Gegenwehr gegen die jüngsten russischen Interventionen in der Ukraine diplomatisch an vorderster Front steht, weisen manche Zeigefinger nach Moskau. Diesen Gedanken mag auch Ministerpräsident Donald Tusk im Kopf gehabt haben als er die Serie der Enthüllungen einen versuchten „Staatsstreich“ nannte. Konkrete Hinweise darauf sind allerdings nicht bekannt geworden, und so bleibt die russische Urheberschaft des Skandals vorerst eine Spekulation neben anderen.
Die banalste Version ist dabei die von einem „Komplott der Kellner“ aus mehreren Restaurants, die gemeinsam ein kleines Abhörgeschäft betrieben haben könnten, um interessierten Geschäftsleuten vertrauliche Gespräche der Konkurrenz zugänglich zu machen. Ihnen wären, so diese Theorie, die abgehörten Politiker nur „als Beifang“ ins Netz gegangen.
Der dickste dieser Fische war bisher Sikorski. Was er bei seinem Lunch mit Rostowski ausgeplaudert hat, ist durchaus lesenswert: Er selbst überlegt, europäischer Energiekommissar zu werden; Ministerpräsident Tusk interessiert sich eher für die Nachfolge des EU-Ratspräsidenten Herman van Rompuy als für die des Kommissionschefs José Manuel Barroso; und der britische Premier David Cameron hat den europäischen Fiskalpakt „gefickt“, weil „es ihn nicht interessiert, weil er es nicht kapiert, weil er an diese ganze dumme Propaganda glaubt“.
Das alles hat die polnische Öffentlichkeit bisher eher amüsiert als empört zur Kenntnis genommen – wären da nicht Sikorskis plastische Ausführungen über das Verhältnis zu Amerika gewesen. Diese Frage ist ein zentraler Streitpunkt der polnischen Politik seit Donald Tusk den dezidiert proamerikanischen Kurs seines antideutschen Vorgängers Jaroslaw Kaczynski gegen eine Linie eingetauscht hat, die mehr auf Europa setzt. Sikorski hat diese vorsichtige Relativierung der Rolle Amerikas stets mit vertreten, obwohl er selbst eine Vergangenheit beim republikanischen „American Enterprise Institute“ in Washington sowie eine amerikanische Ehefrau vorzuweisen hat.
So hat denn auch dieser Aspekt am Montag im Mittelpunkt der Debatte gestanden. Dass der Skandal für den Außenminister durchaus ernst werden könnte, lässt sich daran ablesen, dass er nicht nur aus der Opposition kritisiert wird, sondern auch vom Apparat Präsident Bronislaw Komorowskis, der eigentlich wie Sikorski zum liberalkonservativen Lager gehört – wenn auch seine Beziehung zum scharfzüngigen Außenminister, der seine exzellente Meinung über sich selbst nur selten verbirgt, als eher frostig gilt.
Ultimative Erschütterung
Einer von Komorowskis wichtigsten Beratern, der Geschichtsprofessor Tomasz Nalecz, hat nun neben einigen tadelnden Sätzen über Sikorskis Begriff der „Negerhaftigkeit“ zu Protokoll gegeben, man müsse schon „ein Esel mit Ohren bis zum Himmel sein“, um über die polnisch-amerikanischen Beziehungen so zu reden wie Sikorski das getan habe. Selbst wenn der Primas von Polen verkündet hätte, er glaube nicht an Gott, hätte das ihn, den Präsidentenberater Nalecz, nicht tiefer erschüttert als die Worte, die er nun vom Außenminister höre. Der Präsident selbst ließ am Montag Nachmittag wissen, Amerika sei ein „unerhört wichtiger Verbündeter und Partner“ Polens. Es gehe darum, dieses Bündnis „zu stärken, und nicht zu schwächen“.
Dabei ist das, was jene beiden Herren im Wirtshaus über Polen und Amerika gesagt haben, jenseits aller anekdotischen Saftigkeit, durchaus nichts Neues. Auch außerhalb von Kneipengesprächen vertritt Sikorski seit dem Beginn seiner Amtszeit die Ansicht, Europa müsse schleunigst lernen, sich bei seiner Verteidigung eher auf sich selbst zu verlassen, als nur auf Amerika. Erst kürzlich hat er das wieder angemahnt, in einem Interview mit der britischen BBC, das am Sonntag gesendet worden ist. „Europa ist die größte Wirtschaftsmacht der Welt“, sagte er da. Der Kontinent müsse in der Lage sein, sich selbst zu schützen – und nicht nur „auf die Großzügigkeit Amerikas und des amerikanischen Steuerzahlers bauen – sowie darauf, dass der unsere Sicherheitsprobleme für uns löst“.