Analyse : Zwei amerikanische Nahostpolitiken
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Widersprüchliches aus Washington Bild: AP
„Genug ist genug“, sagte George Bush gestern. „Scharon ist ein Mann des Friedens“, sagt der Präsident heute. Eine Analyse über die zwei amerikanischen Nahostpolitiken.
Joschka Fischer hat gelernt, wie Politik in Amerika funktioniert. Bei seinem Besuch am Potomac lobte der deutsche Außenminister seinen amerikanischen Kollegen und Washingtons „Führungsrolle im Bemühen darum, Wege aus der Krise im Nahen Osten zu finden“. Der Satz, der nach diplomatischer Routine klingt, ist es ganz und gar nicht. Fischer leistete mit seinen Worten vielmehr Unterstützungsarbeit für Colin Powell. Ob es eine amerikanische Führungsrolle im Nahen Osten geben wird, ist nämlich noch nicht entschieden.

Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.
Zurzeit gibt es zwei amerikanische Nahostpolitiken. Eine wird im Außenministerium gemacht, die andere irgendwo zwischen Pentagon, Kongress und Interessenverbänden. George W. Bush bedient sich mal der einen, mal der anderen Seite - offenbar stets den Ratschlägen seiner Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice folgend. Wie früher in Israel versuchen heute in Washington Tauben und Falken die Flugrichtung der Nahostpolitik zu bestimmen.
Amerikanische Falken
Die Hardliner um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, seinen Stellvertreter Paul Wolfowitz und Vizepräsident Dick Cheney wollen - stark beeinflusst von jüdischen Interessengruppen, der christlichen Rechten und prominenten Kongressabgeordneten - Israels Premier Ariel Scharon seinen Krieg gegen Terror führen und Jassir Arafat fallen lassen. Zwar stört sie die Eskalation der Gewalt in den Palästinensergebieten bei ihrem Kampf gegen den Terror, der sie in der nächsten Stufe nach Bagdad führen soll. Doch neigt das Pentagon nach der Nahostreise Cheneys zu der Ansicht, dass der Regimewechsel im Irak notfalls auch ohne arabische Bündnispartner erzwungen werden kann.
Den amerikanischen Falken war es zu verdanken, dass Bush das israelische Vorgehen zwischenzeitlich schlicht als „legitime Selbstverteidigung“ etikettierte und Scharon einen „Mann des Friedens“ nannte. Auch der Umstand, dass das Weiße Haus kurz vor Powells Zusammentreffen mit Arafat in Ramallah verkünden ließ, der Besuch sei eine eigene Initiative des Chefs des State Department und sich derart von Powell distanzierte, führen Kreise um den Außenminister auf heftiges Intervenieren des Pentagons beim Präsidenten zurück. Dass sich diese Kreise jüngst an amerikanische Journalisten wandten, um ihre Frustration über die Destruktionspolitik einiger Kabinettskollegen zu beklagen, zeigt, wie es um das Verhältnis zwischen Powell und Rumsfeld bestellt ist.
Amerikanische Tauben
Zwar gilt das amerikanische Außenministerium traditionell als araberfreundlicher als etwa das Weiße Haus, doch kennzeichnet Powells Nahostpolitik nicht etwa Äquidistanz zwischen Israel und den Palästinensern. Auch der frühere Generalstabchef hält die Zerschlagung palästinensischer Terrorstrukturen für gerechtfertigt. Doch mahnt er Scharon, dass sich Selbstverteidigung im Rahmen des internationalen Rechts bewegen muss. Ob dieses etwa beim Kampf um Dschenin eingehalten wurde, soll auch nach Powells Willen eine UN-Kommission untersuchen. Das Drängen des Außenministers überzeugte letztlich Sicherheitsberaterin Rice, die zwischen beiden Fraktionen steht. Sie empfahl George Bush, Scharon mit den Worten „genug ist genug“ aus den wiederbesetzten Gebieten zurückzupfeifen. Powell rechnet noch mit Arafat. Die jüngste Vermittlungsaktion ist sein Verdienst.
Fischers Lob auf die amerikanische Administration galt dieser stillen Diplomatie im Streit um die von Scharon geforderte Auslieferung der Attentäter von Tourismusminister Zeevi. Die Terroristen werden nun weder der fragwürdigen palästinensischen Justiz noch den israelischen Behörden überstellt, sondern von britischen und amerikanischen Soldaten überwacht. Im Gegenzug wird der Hausarrest Arafats beendet. Israels Truppen ziehen aus dem Verwaltungszentrum Ramallah ab.
Staatengemeinschaft als Lobbyist
Präsident Bush gibt Arafat damit eine Bewährungsprobe. Er erwarte, sagte er jetzt, dass Arafat Führungskraft im Kampf gegen den Terror zeige. Sollte abermals bewiesen werden können, dass der Vorsitzende der zerschlagenen Autonomiebehörde Attentate auf Israelis nicht nur als Teil des Freiheitskampfes toleriert, sondern - etwa durch Prämienzahlungen an Familienangehörige so genannter Märtyrer - aktiv unterstützt, wird sich die Falken-Fraktion in Washington wohl durchsetzen können. Dann könnten sämtliche Verbindungen zum PLO-Chef abgebrochen werden und Scharon freie Hand gelassen werden.
Sollte der Palästinenserführer tatsächlich seinen Teil zu einem Waffenstillstand beitragen, könnte dies die Tauben-Fraktion in Washington beflügeln. Dann rückte nicht mehr nur eine internationale Friedenskonferenz unter der Schirmherrschaft des Quartetts Washington, UN, EU und Moskau in greifbare Nähe, sondern auch die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe. Erstmals reden prominente Politiker in Washington, wie etwa der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Tom Daschle, von einer solchen Option.
Insofern befindet sich der Nahe Osten an einer Weggabelung. Und Washington bestimmt die Richtung mit. Dass UN und EU zurzeit voll des Lobes für Amerika sind und die kleinste nahostpolitische Regung schon zur Initiative stilisieren, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Ein solcher Titel soll die Amerikaner in die Pflicht nehmen. Die Staatengemeinschaft ist in der Nahostpolitik momentan auf die Rolle des Lobbyisten in Washington beschränkt.