Ein Land erodiert : Wie Afghanistan in Machtkämpfen versinkt
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Afghanischer Sicherheitsmann in Kabul Bild: AFP
Die früheren Kriegsfürsten im Norden Afghanistans fühlen sich von der Zentralregierung an den Rand gedrängt. Ihre Machtkämpfe mit Kabul bringen ungewöhnliche Allianzen hervor.
Kürzlich hat es ein unbedeutender Provinzpolitiker gewagt, den mächtigen Gouverneur der afghanischen Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, im Internet zu beleidigen. Der Gouverneur wollte den Übeltäter daraufhin mit der Begründung am Flughafen festnehmen lassen, es liege ein Haftbefehl vor. Allerdings hatte auch der Provinzpolitiker, ein Mann namens Asif Mohmand, ein paar Bewaffnete mobilisiert. Sie standen plötzlich mit gezogenen Pistolen und geladenen Panzerfäusten den Polizisten und Milizen des Gouverneurs gegenüber. Dann flogen Kugeln und Granaten, und dies mitten am Tag auf einem internationalen Flughafen, der einst mit deutschem Geld gebaut worden war. So jedenfalls wird der Hergang in Nato-Kreisen geschildert. Am Ende waren vier Menschen tot und 17 verletzt. Als der Gefangene Mohmand einen Tag später freigelassen wurde, fehlte ein Teil seines linken Ohres. Zurück in Kabul, beschuldigte er den Sohn des Gouverneurs Atta, das Stück abgebissen zu haben. Präsident Ashraf Ghani kündigte daraufhin an, ein Untersuchungsteam nach Mazar-i-Sharif zu schicken. Der Gouverneur hält das für eine Unverschämtheit.
Der afghanische Präsident benimmt sich wie ein Despot
Die Episode ist ein kleiner Ausschnitt in einem großen Machtspiel, das derzeit das ganze Land in Atem hält. Es wirkt wie die achte Staffel der Serie „Game of Thrones“, in der Fürstentümer in wechselnden Allianzen und Ränkespielen um Einfluss ringen. Die Hauptfiguren, in Afghanistan, sind Kriegsfürsten und ein selbstgerechter Präsident, ihre Methoden sind niederträchtig und brutal. Das Land droht zu zerfallen, nicht nur wegen des Aufstands der Taliban, sondern auch wegen des Aufbegehrens der Regionalfürsten.
Es ist ein heißer Tag in Mazar-i-Sharif, dem Zentrum des Reiches von Gouverneur Atta im Norden Afghanistans. Er bittet zum Lunch in sein Gästehaus. Atta Mohammad Noor, den alle nur Atta nennen, zeigt gern, was er hat. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, edle Krawatte zum weißen Hemd, Designerschuhe und eine teure Uhr. Im Hof stehen zwei gepanzerte Audi A8, den Empfangssaal krönt ein schwerer Leuchter, den Boden bedecken teure Teppiche. Attas Gesicht umrahmt ein dunkler Bart. Sein Händedruck ist so sanft wie seine Stimme. Über die Sache mit dem Ohr sagt er: „Ich darf Ihnen versichern, dass an den Vorwürfen nichts dran ist“, und schlägt die Beine übereinander. Der Gefangene habe die Wärter angegriffen. Die hätten sich wehren müssen, also alles rechtens. Dabei sei es leider zu der Verletzung des Ohres gekommen. „Seine“ Polizei, die eigentlich dem Innenminister in Kabul untersteht, habe das alles schon ermittelt, sagt Atta und fügt hinzu, das Polizeiprotokoll sei einsehbar. Die Einsetzung eines Ermittlungsteams durch den Präsidenten stelle daher nichts weiter als einen neuerlichen Versuch dar, ihn, Atta, zu diskreditieren oder gleich ganz loszuwerden.