Afghanistan-Einsatz : Ein überstürzter Abzug
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Abzug aus einem nicht befriedeten Land: Bundeswehrsoldaten in Nordafghanistan Bild: dpa
Amerikas Ankündigung, 2016 komplett aus Afghanistan abzuziehen, sorgt in Berlin für Überraschung. Die Bundesregierung hatte mit längeren Zeiträumen gerechnet.
Die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten Barack Obama zum Abzugs-Fahrplan der amerikanischen Truppen aus Afghanistan setzt auch den Rahmen für das künftige Engagement der Bundeswehr am Hindukusch. Offiziell heißt es in Berlin, Obamas Mitteilung, es sollten zum Beginn des nächsten Jahres noch knapp 10.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan bleiben, entspreche der vor eineinhalb Jahren eingeleiteten Nato-Planung: Danach soll die Isaf-Mission, die am Ende dieses Jahres ausläuft, durch eine neue, von den Vereinten Nationen mandatierte Ausbildungs- und Überwachungsmission ersetzt werden.
An dieser Mission sollen außer dem Truppenkontingent Amerikas rund halb so viele Soldaten anderer Nato-Staaten oder befreundeter Mächte teilnehmen. Die Stationierung der Truppen soll dabei dem sogenannten „Nabe-Speiche“-Konzept folgen, wonach neben der Stationierung in Kabul in vier strategisch wichtigen Städten im Norden, Süden, Westen und Osten des Landes Stützpunkte der internationalen Truppen erhalten bleiben sollen.
Die Bundeswehr hat sich in diesem Konzept darauf eingestellt, 600 bis 800 Soldaten für die Isaf-Nachfolgemission in Kabul und in Mazar-i-Sharif aufzubieten. Es war auch mit einer kleineren Variante geplant worden, nach der ein kleineres Kontingent der Bundeswehr allein in der Hauptstadt Kabul eingesetzt worden wäre. Auch nach Obamas Ankündigung steht die Nachfolgemission unter dem Vorbehalt, dass erst ein gültiges Stationierungsabkommen zwischen der afghanischen Regierung und den Vereinigten Staaten geschlossen sein muss, bevor die Stationierung unter den neuen Bedingungen vom Januar 2015 fortgesetzt werden kann. Nach diesem Muster werden dann alle anderen Truppensteller eigene bilaterale Stationierungs-Vereinbarungen schließen.
Der scheidende afghanische Präsident Hamid Karzai hatte sich trotz eindeutiger Aufforderungen des Stammesrates der Loya Djirga geweigert, ein bereits ausgehandeltes Stationierungsabkommen mit den Amerikanern zu unterzeichnen. Deswegen war die amerikanische Haltung zu einer Truppenstationierung über Ende 2014 hinaus lange in der Schwebe geblieben. Nachdem mittlerweile beide verbliebenen Bewerber in der afghanischen Präsidentschaftswahl ankündigten, sie würden das Abkommen mit Washington unterzeichnen, falls sie ins Amt kämen, sah sich Obama offenbar in der Lage, Klarheit über die künftigen amerikanischen Truppenstärken zu schaffen.
Neben dem offiziellen Berliner Regierungslob über Obamas Ankündigung herrscht in Kreisen des Verteidigungsministeriums allerdings Verwunderung über das Tempo, mit dem der amerikanische Präsident das Truppenkontingent der Nachfolgemission erst verkleinern und dann ganz abziehen will. Ende des Jahres 2015 soll demnach nur noch die Hälfte der knapp 10.000 Amerikaner in Afghanistan stationiert sein, ein Jahr später soll der Abzug, abgesehen von einem Bewachungskontingent für die amerikanische Botschaft in Kabul, vollständig vollendet sein.
Berlin rechnete mit längeren Zeiträumen
Dieses hohe Abzugstempo hat Auswirkungen auf die deutschen Pläne für die Nachfolgemission. Falls die Amerikaner ihre Präsenz bis zum Jahresende 2015 halbierten, müsste das „Speichenmodell“ zu diesem Zeitpunkt aufgegeben werden, das deutsche Camp Marmal am Flughafen von Mazar-i-Sharif müsste dann etwa um diese Zeit geräumt werden. Zwar sind die Amerikaner schon jetzt im Norden kaum noch präsent, doch werden sie in anderthalb Jahren voraussichtlich andere „Speichen“-Stützpunkte aufgeben, sodass auch der nördliche Regionalposten geräumt werden müsste - entscheidende militärische Fähigkeiten wie Luftunterstützung fielen dann weg.
In Berlin war bislang eher mit doppelt so langen Zeiträumen kalkuliert worden: rund zwei Jahre lang Präsenz in der vollen Stärke der Nachfolgemission und in den vier Himmelsrichtungen, anschließend Rückzug auf Kabul und dort Stationierung eines Rest-Kontingents für weitere zwei Jahre. Obamas Ankündigung hat dieses Tempo verdoppelt. Das wird auch Auswirkungen haben auf die Kalkulationen der anderen Truppensteller-Nationen im Norden, auf deren weiteres Engagement die Bundeswehr angewiesen wäre, um das Lager in Mazar-i-Sharif aufrechtzuerhalten: Dort sind beispielsweise mongolische Infanteristen für den Eigenschutz der Liegenschaft eingeteilt. Die Skandinavier sollen nach dem Wunsch der Deutschen künftig die Hubschrauber für den medizinischen Notfalltransport zur Verfügung stellen. Ernsthafte Gespräche darüber, wer was wann wie lange und mit welcher Truppenstärke macht, können jetzt nun beginnen, nachdem die Amerikaner die Rahmendaten ihres weiteren Engagements veröffentlicht haben.