Umstrittene Abschiebeflüge : London schickt bald erste Flüchtlinge nach Ruanda
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Die britische Innenministerin Priti Patel mit dem ruandischen Außenminister Vincent Biruta während der Unterzeichnungszeremonie einer Partnerschaft zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda im Bereich Migration und wirtschaftliche Entwicklung in Kigali, Ruanda, am 14. April 2022. Bild: EPA
Großbritannien macht Ernst: Ab dem 14. Juni sollen die Abschiebungen illegal eingereister Migranten beginnen – die Umsetzung eines Brexit-Versprechens. Das ostafrikanische Land erhält dafür anfangs 144 Millionen Euro.
Die ersten umstrittenen Abschiebeflüge mit Flüchtlingen von Großbritannien nach Ruanda sollen am 14. Juni starten. Das Innenministerium in London teilte am Dienstag mit, es habe den ersten illegal eingereisten Migranten die Bescheide zugestellt. Es handele sich um den „letzten administrativen Schritt“, um ein Abkommen mit Ruanda in Kraft zu setzen.
Die Vereinbarung sieht vor, dass illegal in Großbritannien angekommene Menschen in das ostafrikanische Land geflogen werden und dort Asyl beantragen können. Damit will die konservative Regierung Flüchtlinge abschrecken und ein Brexit-Versprechen umsetzen. Zuletzt hatte die Zahl derjenigen deutlich zugenommen, die mit kaum seetauglichen Booten den Ärmelkanal überqueren. Vor allem Innenministerin Priti Patel war deshalb stark unter Druck geraten. Menschenrechtler werfen der Regierung von Premierminister Boris Johnson vor, die Abmachung mit Ruanda verstoße gegen das Asylrecht.
Asylsuchende können sich in Ruanda niederlassen
Johnson hatte vor sechs Wochen den Plan erläutert. Demnach erhält Ruanda anfangs 120 Millionen Pfund (etwa 144 Millionen Euro) für die Zusammenarbeit. Der Fokus liege auf alleinstehenden jungen Männern, vor allem solche, die als Wirtschaftsmigranten angesehen werden.
Ruanda bietet den Asylsuchenden die Möglichkeit, sich dauerhaft in dem afrikanischen Staat niederzulassen. „Dieser Ansatz wurde so noch nie ausprobiert, es ist etwas Neues“, erklärt Regierungssprecherin Yolande Makolo. „Wir sehen uns als Teil der Lösung für ein globales Problem. Afrika muss nicht immer der Empfänger von Ideen oder Lösungen sein, wir können auch Lösungen anbieten.“
In den vergangenen Jahren hat sich Ruanda immer wieder als flüchtlingsfreundliches Land präsentiert. Fast 130.000 Geflüchtete, unter anderem aus der Demokratischen Republik Kongo, Burundi, Libyen und Afghanistan, sind dort momentan registriert. „Viele Ruander waren selbst Flüchtlinge“, erklärt Makolo. Auch gibt es ein von der EU unterstütztes Abkommen zwischen dem UN-Flüchtlingshilfswerk, der Afrikanischen Union und Ruanda, Geflüchtete aus Libyen aufzunehmen. Und Dänemark soll Medienberichten zufolge bereits einen ähnlichen Deal wie Großbritannien mit der Regierung in Kigali planen.
Autokratisches Ruanda „eines der sichersten Länder der Welt“
Ruanda bekommt so politische Anerkennung und eine kräftige Finanzspritze. Dass dem autokratischen Regime vorgeworfen wird, Oppositionelle zu verfolgen, verblasst vor diesem Hintergrund. Stattdessen erklärte der britische Premierminister Boris Johnson kürzlich, dass Ruanda „eines der sichersten Länder der Welt ist“, und die Kapazitäten habe, in den kommenden Jahren Zehntausende von Migranten neu anzusiedeln.
„Unsere weltweit führende Partnerschaft mit Ruanda ist ein Schlüsselelement unserer Strategie, das kaputte Asylsystem zu überholen und das Geschäftsmodell böser Menschenschmuggler zu durchbrechen“, sagte Patel. Es werde zwar Versuche geben, die Abläufe und Abschiebungen zu verzögern, doch sie werde sich davon nicht abschrecken lassen, betonte die Hardlinerin, deren Familie einst selbst als Flüchtlinge in Großbritannien angekommen war.
„Seit Großbritannien durch den Brexit nicht mehr die Möglichkeit hat, von dem Dublin-Abkommen Gebrauch zu machen, kann es Geflüchtete nicht mehr in die Ankunftsländer, also zum Beispiel Italien, zurückzuschicken“, resümiert Nicole Hirt, Afrika-Expertin am Giga-Institut in Hamburg. „Migration lässt sich aber nicht verhindern. Die Menschen werden nicht aufhören, es zu versuchen.“ Aus Großbritannien berichten Hilfsorganisationen derweil, dass nach der Ankündigung des Deals schon etliche Asylsuchende aus Angst vor der Abschiebung nach Ruanda untergetaucht seien.