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Aberkennung des Doktortitels : Hilft nicht: Schavan hat betrogen

Die bizarre Verteidigung Annette Schavans zeigt: In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Kaste von Wissensfunktionären entstanden, die von Exzellenz faseln, aber nur leeres Stroh dreschen.

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          Annette Schavan war nicht im Saal, als das Düsseldorfer Verwaltungsgericht in dieser Woche ihre Klage gegen die Heinrich-Heine-Universität verhandelte. Sie musste nicht erscheinen, dafür gibt es Anwälte. Und doch wäre es besser gewesen, sie hätte Justitia direkt ins Auge gesehen. Schließlich hatte Schavan erst vor ein paar Wochen schwerwiegende Vorwürfe erhoben. Die Aberkennung ihres Doktortitels durch die Universität Düsseldorf nannte sie ein „Unrecht“, das nicht bloß ihr schade, „sondern auch der Wissenschaft“. Sie hielt dem Gutachter der Universität ein „irres Menschenbild“ vor, denn wer eine Arbeit über das Gewissen schreibe, könne gar nicht täuschen.

          Thomas Gutschker
          Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

          Unrecht, irres Menschenbild. Das ist die Welt, in der Annette Schavan lebt, seit die Plagiatsvorwürfe gegen sie bekannt wurden. Es ist eine Welt, die nicht nur sie sich zurechtgezimmert hat. Es gab willige Helfer: Präsidenten der großen Wissenschaftsorganisationen, Hochschulpräsidenten, Bildungsforscher, alles Professoren. Schavan hob noch viele Monate nach ihrem Rücktritt als Ministerin hervor, „dass ich enorm viel Zuspruch besonders aus der Wissenschaft erfahren habe“.

          Faseln von Exzellenz

          Das macht diesen Fall so besonders, so einzigartig - und so gefährlich. Denn in keinem anderen Plagiatsverfahren hat es jemals eine solche Parteinahme von Professoren mit einer Beschuldigten gegeben. Erziehungswissenschaftler versicherten eilfertig, es handle sich bei ihrer Disziplin gar nicht um eine Wissenschaft, also müssten an eine Dissertation in diesem Fach geringere Maßstäbe angelegt werden. Die Allianz der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen verstieg sich zu der Behauptung, verfahrensrechtliche Korrektheit sei „keine hinreichende Bedingung, um die Entscheidung über die Aberkennung eines Doktorgrades zu begründen“. Und als Schavan schon zurückgetreten war, stellte sich noch ein Mann vor sie, der jahrelang an der Spitze der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestanden hatte. Die Aberkennung des Doktortitels mute „jakobinisch“ an, geiferte Ernst-Ludwig Winnacker, weil auch damals „Menschen in Hetzjagden verfolgt wurden, die dieses nicht verdient hatten“. Also: Die Universität Düsseldorf, ihr Gutachter und ihre Gremien, soll eine Ministerin aus niederen Motiven verfolgt haben! Unrecht, irres Menschenbild.

          Diese „Argumente“ waren schon damals leicht zu widerlegen. Schavan selbst hatte die Universität gebeten, ihre Arbeit zu überprüfen. Ein Gutachter spürte in philologischer Detailarbeit sechzig Plagiate auf. Sein Gutachten wurde durchgestochen - das war ärgerlich, aber kein Beleg für Verfolgungswahn. Alle Beratungen folgten strikt der Promotionsordnung. Und es fand sich sogar ein Leitfaden für wissenschaftliches Arbeiten, den Schavans Doktorvater seinerzeit erstellt hatte - von wegen andere Maßstäbe.

          Im Fall Schavan haben ein großer Teil der Wissenschaftsgemeinde und ein kleiner Teil der Öffentlichkeit die komplette Umwertung der Werte wissenschaftlichen Arbeitens versucht. Natürlich krähten die am lautesten, die am meisten von den Milliardenzuteilungen der Ministerin abhängig waren. Die wahren Gründe aber liegen tiefer. In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Kaste von Wissensfunktionären entstanden, die sich selbst oftmals nicht durch wissenschaftliche Spitzenleistungen auszeichnen, sondern durch Managementfähigkeiten. Sie faseln von Exzellenz, dreschen aber nur leeres Stroh.

          So arbeitet, wer betrügt

          Wie gut, dass Annette Schavan gegen die Universität Düsseldorf geklagt hat! Denn nun haben sie und ihre Speichellecker es schwarz auf weiß: Der Entzug ihres Titels war rechtmäßig. Die Universitätsgremien haben rechtmäßig gehandelt und plausibel begründet, warum Schavan getäuscht hat. Ausschlaggebend dafür waren gerade jene Stellen, in denen sie nicht bloß wörtlich aus Fachbüchern abschrieb, ohne das zu kennzeichnen, sondern besonderen Aufwand trieb, um die Herkunft ihrer Gedanken zu verschleiern: durch geschicktes Umstellen und Umformulieren. So arbeitet nicht, wer bloß in seinem Zettelkasten die Übersicht verliert. So arbeitet, wer betrügt. Schavan kann noch versuchen, eine Berufung zu erwirken, doch ihre Rechtsvertreter standen schon in Düsseldorf mit leeren Händen da.

          Hoffentlich führt das Urteil des Verwaltungsgerichts den Parteigängern Schavans vor Augen, welches Unrecht sie der Wissenschaft angetan haben - insbesondere den redlichen Düsseldorfer Kollegen. Schavan tritt weiter kämpferisch auf, sie hat sich in ihrer Verschwörungswelt eingemauert. Deshalb stellt sich noch eine andere Frage: Ist es wirklich angeraten, sie demnächst zur Botschafterin beim Vatikan zu erheben? Ausgerechnet eine Frau, die des Betrugs überführt wurde und bis heute weder Einsicht noch Reue zeigt?

          Die Spitzen der großen Koalition haben diesen Plan ausgeheckt, um einer verdienten Politikerin einen netten Lebensabend zu bescheren, mit dem doppelten Gehalt eines Universitätsprofessors und einer schicken Residenz. Vielleicht wollen sie dem Vatikan auch bloß zu verstehen geben, was sie von ihm halten. Besser wäre es freilich, sie würden noch einmal in sich gehen.

          Das Seltsame an diesem Fall: dass so viele Professoren sich mit der Plagiatorin verbündet haben.

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