Erstwählerlexikon : Sind alle AfD-Mitglieder wirklich Nazis?
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AfD-Anhänger beim Politischen Aschermittwoch in Osterhofen, Bayern Bild: dpa
Sie schüren Angst vor Muslimen und schimpfen über Migration: Sind deswegen alle AfD-Anhänger Nazis? Ganz so einfach ist es nicht, zeigt Teil 5 unseres Lexikons für Erstwähler.
Wenn sich AfD-Mitglieder irgendwo in Deutschland in einer Kneipe treffen, um am Stammtisch über Flüchtlinge und Muslime zu schimpfen, dann bekommt der Wirt von anderen Gästen nicht selten etwas zu hören. „Warum lässt du denn Nazis bei dir sitzen?“, kann es dann zum Beispiel heißen. Das Wort Nazi geht vielen mit Leichtigkeit über die Lippen.
Als die AfD ihren Bundesparteitag in Köln abhielt, lagen in vielen Kneipen der Stadt insgesamt 200.000 Bierdeckel aus. Auf jedem stand der Schriftzug: „Kein Kölsch für Nazis“. Auch im Internet ist der Vorwurf zu hören. „Die AfD ist eine Nazi-Partei“, heißt es zum Beispiel in einem Beitrag des Debattenportals „The European“. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte im Januar in Bezug auf die AfD, es gebe „richtige Nazis in dieser Partei“. Er sagte also nicht, dass alle Nazis seien, aber dass es Nazis gebe. Unklar blieb auch, ob er den Begriff umgangssprachlich verwendete, oder ob er es ernst meinte mit diesem Wort. Ob er also wirklich der Meinung war, dass Teile der AfD eine nationalsozialistische Ideologie vertreten.
„Nazi“ ist kein Synonym für Rechtspopulisten
Wenn Begriffe nicht genau verwendet werden, verlieren sie ihre Bedeutung. Nazi ist die Kurzform von Nationalsozialist. Viele Menschen verwenden das Wort aber als Synonym für Rechtspopulisten, Rechtsradikale und alle Sorten von Rechtsextremen. Das ist falsch. Es gibt große Unterschiede zwischen diesen Wörtern. Wer über diese Unterschiede sprechen will, erlebt oft eine gewisse Aufgeregtheit bei allen Beteiligten. Die AfD-Kritiker haben das Gefühl, man wolle ihre Kritik an der Partei entwerten. Umgekehrt haben AfD-Mitglieder das Gefühl, man wolle sie in Schutz nehmen, wenn man sagt, sie seien keine Nazis. Nichts davon trifft zu. Es geht einfach nur darum, Begriffe korrekt zu verwenden.
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In der Geschichte der AfD sind fast nie Fälle von Nationalsozialismus bekannt geworden. Das bedeutet nicht, dass es keine Neonazis gibt in Deutschland. Etliche rechtsextreme Kleinparteien bestehen aus Menschen, die zuhause Reichskriegsflaggen und Hakenkreuz-Devotionalien hängen haben. So etwas gibt es in der AfD nur in krassen Einzelfällen. Stattdessen gibt es unter anderem drei Schattierungen, es gibt Rechtspopulisten, Rechtsradikale und Rechtsextreme.
Ein Populist ist nach der Definition des deutschen Princeton-Professors Jan-Werner Müller ein Mensch, der für seine Position einen Alleinvertretungsanspruch für das Volk formuliert und die politischen Konkurrenten als machthungrige, korrupte Elite anprangert. Wer dazu in gesellschaftspolitischer Hinsicht dezidiert rechte Thesen vertritt, ist ein Rechtspopulist.
Unterschied zwischen Populismus und Konservatismus
Wenn im Grundsatzprogramm der AfD also steht: „Es hat sich eine politische Klasse von Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat. Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann dieses illegitimen Zustand beenden“ – dann ist das Populismus in Reinform, in diesem Fall Rechtspopulismus. Nicht populistisch wäre eine Partei, die einfach nur national-konservative Positionen vertritt und um Mehrheiten für diese Positionen wirbt. Die aber nicht alle anderen Positionen und Parteien als illegitim und volksverräterisch brandmarkt. Das wäre dann eine sehr konservative, aber keine populistische Partei.
Ein Rechtsradikaler ist laut der Definition des Verfassungsschutzes jemand, der sehr rechts denkt und dabei eine besonders große Kompromisslosigkeit zeigt. Ein Radikaler eben. Dieser Radikalismus muss nicht verfassungswidrig sein. Man darf in Deutschland sehr viel sagen, ohne sich strafbar zu machen, besonders wenn man es im kleinen Kreis tut, unter Freunden und Bekannten. Am Beispiel des Linksradikalismus ist dieser Unterschied einfach zu vermitteln. Wer in Deutschland am Stammtisch sagt, er sei Kommunist und unterschreibe jedes Wort in den Schriften Lenins, ist ein Linksradikaler. Das macht ihn aber noch nicht zu jemandem, der etwas Verbotenes tut oder dessen Kegelclub, zu dem der Stammtisch vielleicht gehört, verboten werden kann.
Ein Rechtsradikaler redet Demokratiefeindliches, ein Extremist tut es auch
Anders ist es, wenn dieser Kommunist eine Partei gründet, in deren Programm die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefordert wird, die Verstaatlichung aller Unternehmen und die Errichtung einer kommunistischen Ein-Parteien-Diktatur. Dann wäre er ein Linksextremist und seine Organisation wäre verfassungswidrig und würde wohl verboten werden.
Genauso ist es mit Rechtsradikalen. Wer am Stammtisch sagt, er finde, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland, und man solle doch die ganzen Ausländer aus dem Land werfen und diese „Altpartei“-Politiker gleich hinterher, der ist ein Rechtsradikaler. Er ist aber nicht notwendigerweise ein Rechtsextremist. Ein Rechtsextremist wäre er, wenn er nicht nur am Stammtisch manchmal etwas Ausländerfeindliches oder Demokratiefeindliches sagt, sondern wenn er aktiv die Beseitigung der demokratischen Ordnung oder die Diskriminierung und Benachteiligung von Ausländern anstrebt.
Will man mit trennscharfen Begriffen über die AfD sprechen, müsste man also das Folgende sagen: Es gibt praktisch keine Nazis in der AfD. Es gibt sehr viele Rechtspopulisten, die alle anderen Politiker als Vertreter einer Clique von Volksverrätern beschimpfen. Es gibt auch etliche Rechtsradikale, die mit ihren Parolen manchmal zum Beispiel die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit missachten oder die Benachteiligung von Fremden fordern. Zu denen gehört auch der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke, der die Gedenkkultur an den Holocaust schwächen will und offenbar ein ethnisch weitgehend homogenes Deutschland bevorzugt. Funktionäre schätzen, dass etwa 30 Prozent der Parteimitglieder wie Höcke denken.
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Es gibt vereinzelt auch Rechtsextreme in der AfD. Das sind zum Beispiel all jene, die in der „Identitären Bewegung“ aktiv sind oder diese unterstützen wollen. Diese Bewegung gilt nicht deshalb als rechtsextrem, weil ihre Aktivisten einmal auf das Brandenburger Tor geklettert sind oder vor der CDU-Zentrale demonstriert haben. Sondern weil ihre Wortführer nicht nur radikale Dinge sagen, sondern auch revolutionäre Zustände erreichen wollen. Sie fallen nicht nur mit Äußerungen gegen Parlamentarismus, Pluralismus und Liberalismus auf, sie wollen diese Dinge auch aktiv abschaffen.
Der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sagt deshalb: „Wir sehen bei der ,Identitären Bewegung‘ Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ Der Anführer der österreichischen „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, der auch viel in Deutschland aktiv ist, bedauerte kürzlich in einem Aufsatz: „Derzeit haben wir keine revolutionäre Lage.“ Dann zitierte er Herbert Marcuse: „Unter diesen Bedingungen kann die Chance nur bestehen in einer Vorbereitungsarbeit.“
Das ist rechtsextrem, aber hat mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun. Dass Deutsche oft meinen, alle Rechtsextremen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen, seien Nazis, liegt in der Geschichte begründet. Die Rechtsextremen freut das. Sie können den Nazi-Vorwurf oft leicht widerlegen – und ihren Kritikern fehlen dann die Worte. Man kann es sich so merken: Alle politisch aktiven Nationalsozialisten sind Rechtsextreme, aber nicht alle Rechtsextremen sind Nationalsozialisten. Entsprechend wichtig sind in jeder Debatte trennscharfe Begriffe.