70 Jahre Hiroshima : Gerechtfertigt? Kriegsentscheidend?
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Überlebende suchen sich ihren Weg durch die noch rauchenden Trümmer in Hiroshima. Bild: Picture-Alliance
Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki waren schon im Urteil von Zeitgenossen sehr umstritten. Waren sie noch nötig?
Gerade an „runden“ Jahrestagen wie in diesem Jahr fällt das Gedenken an die beiden Schicksalstage, an denen die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen, umfangreicher aus als zu anderen Zeiten. Und so wird natürlich auch und gerade jetzt, 70 Jahre nach dem Geschehen, wieder die Frage gestellt, was von der offiziellen amerikanischen Nachkriegsversion zu halten ist, wonach die Bomben Hunderttausende Leben amerikanischer Soldaten gerettet hätten, weil erst durch die apokalyptischen Szenen in Hiroshima und Nagasaki das japanische Kaiserreich zur Kapitulation habe bewegt werden können.
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In der Rückschau wird man sagen können, dass diese Argumentation nicht zu halten ist. Nur sagt das erst einmal nichts darüber aus, vor welcher Situation Präsident Harry Truman und seine Berater im Sommer 1945 standen. Welche Informationen hatten sie? Unter welchem, zum Beispiel innenpolitischen, Druck standen sie?
Es war auch den Zeitgenossen schon völlig klar, dass Japan den von ihm im Dezember 1941 mit dem Überfall auf Pearl Harbor begonnenen Krieg nicht mehr würde gewinnen können. Und so wie heutzutage gesagt wird, Deutschland sei eigentlich nach dem Ende der eingekesselten Armee in Stalingrad im Februar 1943 schon geschlagen gewesen, so könnte man sagen, dass die große Seeschlacht bei Midway im Jahre 1942 die kriegsentscheidende Wende im Pazifikkrieg gewesen sei.
Nur hatten die amerikanischen Militärs im Sommer 1945 drei Jahre Erfahrungen mit einem Gegner gesammelt, der sich auch in hoffnungsloser Lage noch buchstäblich bis zur letzten Patrone und bis zum letzten Mann aufopferte, was auch die amerikanischen Verluste in die Höhe schießen ließ. Die amerikanische Taktik des „Inselspringens“ hatte schon unfassbar viele Opfer gefordert. Besonders frisch waren die Erfahrungen aus den Schlachten um Iwo Jima und Okinawa. Daraus schlossen viele Militärs, dass ein Angriff auf die japanischen Hauptinseln ein Vielfaches an Toten fordern würde. Das waren Hochrechnungen, die allerdings für viele überaus plausibel klangen.
Wenn in einer solchen Situation plötzlich eine Waffe zur Verfügung steht, die eine langwierige und überaus blutige Eroberung überflüssig machen kann, ist die Versuchung groß, sie auch einzusetzen. Hinzu kam, wie man heute weiß, auch ein Element wissenschaftlicher Neugier. Nuklearwaffen waren etwas Neues. Die Wirkung der Bombe konnten Wissenschaftler zwar theoretisch berechnen. Aber der Praxistest stand noch aus.
Die Entscheidung zum Einsatz fiel jedenfalls. Und schon kurz danach erschraken nicht Wenige in Amerika darüber, was ihre Regierung da angerichtet hatte. Die Regierung zog sich dann aber auf die Position zurück, ihr seien amerikanische Leben wichtiger gewesen als japanische. Und es sei nun einmal klar, dass durch die rechtzeitige Kapitulation Japans vielen Amerikanern der Tod in der Schlacht erspart geblieben sei. Damit wollte sich Washington auch gegen Vorwürfe wappnen, der Einsatz der Atombomben sei moralisch nicht zu rechtfertigen gewesen.
Jenseits aller Moral gilt heutzutage erstens als gesichert, dass Japan so erschöpft war, dass eine Kapitulation nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Als mindestens so kriegsentscheidend wie die Atombomben wird der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg am 8. August 1945 angesehen. Damit hatte Japan offenbar nicht oder zumindest nicht so schnell gerechnet. Schließlich hatte die Sowjetunion, obwohl mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien im Bündnis gegen Hitler, während des gesamten Krieges am Nichtangriffspakt mit Japan festgehalten. Nun aber erfüllte Stalin das auf der Potsdamer Konferenz gegebene Versprechen, sich am Krieg gegen das fernöstliche Kaiserreich zu beteiligen. Spätestens mit der Eröffnung dieser neuen Front war klar, so sehen Historiker die Dinge heute, dass Japan geschlagen war.
Immer wieder ist auch spekuliert worden, dass der amerikanische Präsident Truman die Atombombenabwürfe auch als Signal an den sowjetischen Verbündeten ansah, dem er – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Franklin D. Roosevelt – nicht traute. Wie weit mit dieser Argumentation Szenarien des Kalten Krieges, die so richtig erst einige Jahre später eintraten, unzulässig vorweggenommen werden, ist allerdings eine durchaus legitime Frage.
Aus der Perspektive des Historikers ist es leicht, Urteile über Akteure zu fällen. Wer hätte in der Haut Harry Trumans stecken wollen? Eine unter allen Umständen „richtige“ Entscheidung konnte er wohl nicht fällen. Er hat das aus seiner Sicht kleinste Übel gewählt.