Die unbekannte Behörde : Wie Klaus Juckel seinen Großvater fand
- -Aktualisiert am
Elvira Gerhardt: Die Angestellte der Deutschen Dienststelle (WASt) in Berlin verwaltet den Nachlass gefallener Wehrmachtssoldaten. Bild: Matthias Lüdecke
Noch 70 Jahre nach dem Krieg sammelt die „Deutsche Dienststelle“ alles über Soldaten. Die Behörde ist hierzulande kaum bekannt, dabei leistet sie wichtige Dokumentationsarbeit.
An seinen Großvater kann sich Klaus Juckel etwas besser erinnern als an seinen Vater. Von beiden hat er zuletzt 1945 gehört, da war er drei Jahre alt. Den Vater sah er nur in dessen Fronturlauben, der Großvater wohnte auf dem Bauernhof der Familie in Ostpreußen. Wenn der Enkel spielen wollte, führte ihn der Großvater in die Scheune, zur Kutsche, setzte sich mit ihm auf den Kutschbock, schlug mit den Zügeln, rief „Hüttehott“ und vergaß darüber die Zeit, bis die Mutter sie zum Essen ins Haus holte.
Eines Tages holte der Großvater die Kutsche aus der Scheune und spannte die Pferde Lotte und Laura ein. Die Frauen packten alle Sachen zusammen. Der Donner der russischen Artillerie war keine 20 Kilometer entfernt, die Mutter konnte vor Angst nicht mehr schlafen. Da endlich erlaubte es die deutsche Führung auch den Hofbesitzern in Ostpreußen zu fliehen.
Die Familie zog im Treck nach Eisenberg, wo Kutsche und Pferde beschlagnahmt wurden, und später über das noch zugefrorene Frische Haff. Bei Königsberg starb die kleine Schwester, die kaum zwei Monate alt geworden war, an Entkräftung. In Fischhausen geriet die Familie in einen Bombenangriff. Schließlich gelangten sie auf die Halbinsel Hela. Das Dampfschiff Ubena sollte sie nach Dänemark bringen.
Nur der Großvater ging nicht an Bord. „Lieber lass ich mich vom Russen erschießen, als dass ich in der Ostsee ertrinke.“ Vielleicht wollte er mit 69 Jahren die Heimat nicht mehr verlassen, vielleicht war er schon zu verwirrt. Kurz vor der Abfahrt sah ihn die Tante in den Dünen. Da erkannte er sie nicht mehr. Juckel weiß das nur aus der Erzählung seiner Mutter. Im Flüchtlingslager in Dänemark fragte er: „Wo ist der Opa?“ Es sollte 62 Jahre dauern, bis Juckel darauf eine Antwort bekam. Er fand in seinem Briefkasten einen Brief, und er sagt, dass da sein Herz hüpfte.
Die unbekannte Behörde
Der Brief kam von Elvira Gerhardt, Sachbearbeiterin, Abteilung II, Referat D, „Deutsche Dienststelle“. Die Behörde hat ihren Sitz in Berlin-Reinickendorf, neben der Kleingartenkolonie „Kühler Grund“. In den Klinkerbauten einer ehemaligen Munitionsfabrik arbeiten 250 Angestellte mit mehr als 200 Millionen Unterlagen. Die meisten stammen aus den Jahren 1939 bis 1945. Damals hieß sie noch „Wehrmachtauskunftsstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene“ (Wast). Sie informierte das Internationale Rote Kreuz über den Verbleib ausländischer Kriegsgefangener und deutsche Familien über ihre gefallenen oder vermissten Angehörigen. 1945 arbeitete die Wast unter amerikanischer Führung weiter. Von den Amerikanern hat sie auch ihren neuen Namen: „Deutsche Dienststelle (Wast) für die Benachrichtigungen der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“.
Wenn Elvira Gerhardt nach draußen telefoniert und auf dem Anrufbeantworter den Namen ihrer Behörde hinterlässt, ruft meist keiner zurück. Die Behörde sei eben recht unbekannt. Dabei haben die Angestellten auch 70 Jahre nach Kriegsende viel zu tun: Wenn Gebeine deutscher Soldaten gefunden werden, helfen sie die Toten zu identifizieren, anhand der Erkennungsmarken und mit Hilfe langer Listen. Sie benachrichtigen die Angehörigen und sorgen dafür, dass Sterbeurkunden ausgestellt werden. Sie unterstützen aber auch Kinder deutscher Besatzungssoldaten dabei, ihre Väter zu finden, und Staatsanwälte, Kriegsverbrechen aufzuklären.