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Vor 20 Jahren : Eine Fälschung zu viel

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Egon Krenz verkündete damals als Wahlleiter das offizielle Ergebnis und ließ danach alle Unterlagen einschließlich der Stimmzettel vernichten

Egon Krenz verkündete damals als Wahlleiter das offizielle Ergebnis und ließ danach alle Unterlagen einschließlich der Stimmzettel vernichten Bild: picture-alliance / dpa

Die letzte Kommunalwahl vor dem Mauerfall in der DDR am 7. Mai vor 20 Jahren war der „erste Spatenstich am Grab“ des Arbeiter- und Bauernstaates. Die Gorbatschow-Politik in der Sowjetunion hatte SED und Stasi längst nervös gemacht.

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          Wahlen in der DDR sind seit 1950 immer gefälscht worden. Sogar auf doppelte Weise. Es gab zum einen nur eine Einheitsliste, die eine wirkliche Wahl unmöglich machte. Zum anderen wurden die zu erreichenden Ergebnisse von der SED vorgegeben - unabhängig von den tatsächlichen Ergebnissen. Dabei hätten die wahren Ergebnisse immer noch klare Mehrheiten für die „Kandidaten der Nationalen Front“ und damit für die SED-Politik gebracht, denn es gab ja keine Opposition. Das DDR-Strafgesetzbuch verbot in Paragraph 211 Wahlfälschung, dennoch wusste jeder, dass gefälscht wurde.

          Jede Wahl sollte als Zeichen für die Zustimmung zur SED-Politik ein besseres Ergebnis bringen als die vorherige. Hundert Prozent kamen freilich auch nicht in Frage. Ein Prozent ungültige und Gegenstimmen waren gewollt, um, wie Walter Ulbricht einmal sagte, alles demokratisch aussehen zu lassen. Zweifel an solchen Ergebnissen gab es immer. Bei der Volkskammerwahl 1986 unternahm der Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann den Versuch, die Auszählung wenigstens in einigen Wahllokalen zu überwachen. Er schätzte damals, es habe ungefähr 15 Prozent Gegen- und ungültige Stimmen gegeben. Das offizielle Wahlergebnis nannte unverdrossen 99 Prozent Jastimmen.

          SED und Stasi waren nervös

          Am 7. Mai 1989 fanden Kommunalwahlen statt. Die Umstände hatten sich inzwischen geändert, vor allem durch die Gorbatschow-Politik in der Sowjetunion, wo inzwischen so etwas wie eine Kandidatenwahl möglich war, wenngleich immer noch nur für Bewerber aus der KPdSU. Schon die Wahlvorbereitung machte SED und Staatssicherheit nervös.

          Vom früheren Politbüromitglied Horst Dohlus soll die Weisung an die SED-Bezirkssekretäre zur Wahlmanipulation ausgegangen sein
          Vom früheren Politbüromitglied Horst Dohlus soll die Weisung an die SED-Bezirkssekretäre zur Wahlmanipulation ausgegangen sein : Bild: picture-alliance / dpa

          Es war zwar in der DDR üblich, vor einer Wahl Eingaben zu machen und mit Wahlverweigerung zu drohen. Es ging zumeist um die Lebensumstände, keineswegs um grundsätzliche Kritik. Aber in der DDR wurde alles politisch, selbst eine kaputte Straße oder ein fehlender Telefonanschluss. Diesmal gab es eine Flut von Eingaben. In Berlin und Dresden versuchten kirchliche Gruppen eigene Kandidaten aufzustellen. In Neuglobsow bei Berlin wurde im März 1989 die Einheitsliste der Nationalen Front bei der Aufstellung sogar komplett abgelehnt, so dass einige Namen ausgetauscht werden mussten.

          Am Wahltag selbst schwärmten Gruppen in Berlin, Leipzig und Dresden aus, um die Zählung zu prüfen. Eppelmanns 15 Prozent bestätigten sich. In Dresden etwa wurden mehr als 12.000 Gegenstimmen in der Hälfte der Wahllokale gezählt. Im offiziellen Ergebnis von Dresden aber gab es nur knapp tausend.

          Vorbereitete Zettel mit dem gewünschten Ergebnis

          Niemand dürfte erstaunt gewesen sein, als das offizielle Ergebnis vom Wahlleiter Egon Krenz verkündet wurde: 98,77 Prozent. Dass es keine 99 waren, schien der Führung Zugeständnis genug. Von mehr als 200.000 Kandidaten waren offiziell 1276 abgelehnt worden. Mehr Wähler als je hatten im Wahllokal die Kabine benutzt (was registriert und gemeldet wurde), hatten vorab gewählt, um nicht am Wahltag ins Wahllokal gehen zu müssen, oder es so eingerichtet, dass sie am Wahltag nirgendwo von den ausgeschickten Agitationstrupps zu erreichen waren.

          Der Historiker Klaus Bästlein, der beim Landesbeauftragten für die Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes in Berlin arbeitet, hat bei seinen Studien über die Kommunalwahl 1989 herausgefunden, wie die Ergebnisse auf dem Weg zum Wahlleiter gefälscht wurden. In den Wahllokalen wurde noch richtig ausgezählt. Aber in den Kreiswahlleitungen beziehungsweise den Wahlleitungen der Stadtbezirke lagen vorbereitete Zettel mit dem gewünschten Ergebnis.

          Die waren „von oben“ gekommen und wurden dorthin nun wieder übermittelt. Krenz ließ eine Woche nach Feststellung des amtlichen Wahlergebnisses alle Unterlagen einschließlich der Stimmzettel vernichten. Diesmal aber ging die DDR nicht wieder zur Tagesordnung über. Es gab etwa 300 Einsprüche gegen das Ergebnis. Da in der DDR die Staatssicherheit die Justiz kontrollierte, erhielten die Staatsanwälte am 19. Mai die Weisung, solche Einsprüche kommentarlos anzunehmen und nach einer gewissen Frist „mündlich zu bescheiden“, also abzulehnen. Die Staatsanwälte durften nicht selbst ermitteln, sondern wurden zu Sprechpuppen degradiert - was, so meint Bästlein, unter den sonst SED-treuen Staatsanwälten zu Unmut führte. Schriftliches sollte es auf keinen Fall geben, damit nichts an die Westmedien gelangen konnte. Es blieb vielmehr bei einem stereotypen Hinweis auf das amtlich festgestellte Wahlergebnis. Diese Gespräche verliefen zum Teil grotesk, denn die Antworten auf alle Fragen der Antragsteller blieben immer gleich.

          „Erste Spatenstich fürs Grab“

          Wer mit der DDR tatsächlich noch Hoffnungen verbunden hatte, wurde durch die Kommunalwahl endgültig enttäuscht. Die Bürger reagierten auf inzwischen schon bewährte Weise: Die Zahl der Ausreiseanträge stieg. Die kirchlichen Oppositionsgruppen begannen zu ihrem eigenen Erstaunen nach und nach zu Massenbewegungen zu werden. Die Staatssicherheit versuchte gegenzusteuern, sogar noch nachdem im Herbst der SED-Staat praktisch zusammengebrochen war.

          Die Wahl am 7. Mai 1989 sei der „erste Spatenstich fürs Grab“ des SED-Staates gewesen, sagte der aus der DDR-Bürgerbewegung kommende Grüne Werner Schulz einmal. Ein Jahr später, am 6. Mai 1990, wurde die Wahl wiederholt. Inzwischen war die Grenze geöffnet und deutete schon vieles auf ein rasches DDR-Ende hin. Es war nach der Volkskammerwahl im März 1990 die zweite demokratische Wahl in der DDR und zugleich die letzte.

          Knapp achtzig Verfahren wegen Wahlfälschung gab es. Fünfzehn davon wurden noch in der DDR, also vor dem 3. Oktober 1990, beendet. Die Mehrzahl der Verurteilten erhielt Bewährungsstrafen zwischen einem halben und einem Jahr. Hans Modrow, Ehrenvorsitzender der Linkspartei, ist ein rechtmäßig verurteilter Wahlfälscher. Bei einigen Politbüromitgliedern, etwa bei Krenz, trat der Tatbestand hinter Schwerwiegenderem zurück - die Toten an der Grenze.

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