Exklusive Freiheiten? : Zum Begriff des linksliberalen Milieus
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Sonnenblume + Fahrrad + Hochschule = linksliberales Milieu? Bild: Picture-Alliance
Warum spricht eigentlich niemand von einem rechtsliberalen oder einem links-illiberalen Milieu? Begriffsgeschichte einer sonderbar asymmetrischen Wortbildung.
In den Kontroversen um Identitätspolitik und Meinungsfreiheit gerät immer wieder das „linksliberale Milieu“ in den Fokus. Je nach politischem Standort gilt es als die Trägerschicht einer selbstgerechten Annulierungskultur oder aber als Bastion des Fortschritts gegen den Rechtspopulismus. Im öffentlichen Sprachgebrauch tauchte das „linksliberale Milieu“ zuerst Mitte der achtziger Jahre auf, meistens noch mit Zuschreibungen wie „grün“ oder „alternativ“ gekoppelt. Nach der Jahrtausendwende wuchsen „linksliberal“ und „Milieu“ zu einem festen Gefüge zusammen, dessen Häufigkeitskurve seit einigen Jahren steil ansteigt.
Wer genau zu diesem Milieu gehört, bleibt allerdings vage. Einer Minimaldefinition nach sind idealtypische Mitglieder des „linksliberalen Milieus“ akademisch gebildete Bewohner urbaner Quartiere, die sich im weitesten Sinn für Weltoffenheit aussprechen. Auffällig am „linksliberalen Milieu“ ist eine begriffliche Asymmetrie: Von einem „rechtsliberalen Milieu“ ist nirgends die Rede. Das liegt weniger am Mangel an liberaler Gesinnung in diesem Teil des politischen Spektrums als an semantischen Verschiebungen: „Rechts“ wird mittlerweile gleichbedeutend mit „rechtsextrem“ verwendet und ist deshalb für „liberal“ nicht mehr anschlussfähig.
Dafür taugt höchstens noch „konservativ“, doch auch ein „konservativ-liberales Milieu“ tritt sprachlich kaum in Erscheinung. Allerdings zeigt auch das „linksliberale Milieu“ begriffliche Bruchstellen. Von ihm ist nämlich häufig gerade dann die Rede, wenn seine Illiberalität kritisiert wird, also die Tendenz, alles, was nicht ins eigene Weltbild passt, als wahlweise islam-, frauen-, diversitäts- oder schlechthin menschenfeindlich abzukanzeln. Erstaunlicherweise ist es aber auch den schärfsten Gegnern des „linksliberalen Milieus“ bisher nicht eingefallen, ihm das Attribut der Freiheitlichkeit abzusprechen und es zum „links-illiberalen Milieu“ zu erklären.
Die Paradoxie wird nicht mehr wahrgenommen, weil auch „liberal“ mittlerweile einen klammheimlichen Bedeutungswandel durchlaufen hat. In Verbindung mit „links“ bezeichnet es keine freiheitliche Gesinnung mehr, sondern nur noch eine distanzierte Haltung zum Antikapitalismus der klassischen Linken, gekoppelt mit einem Habitus, der Offenheit suggeriert, aber Meinungsfreiheit oft genug im Sinne Mark Twains versteht: „Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.“