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Open Access : Eine neue Konzentration von Macht

Das Projekt „Deal“ will die Biliotheksetats (hier die Universität Freiburg) entlasten - mit Nebenfolgen Bild: Andreas Secci/Artur Images

Der Wissenschaftsrat will Open Access zum Standard bei wissenschaftlichen Publikationen machen. Das bedeutet eine Umverteilung von Macht – auf Kosten der Wissenschaftler.

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          Verschlusssachen waren wissenschaftliche Publikationen eigentlich nie. Jeder konnte sie über Bibliotheken ausleihen, was mit fortschreitender Digitalisierung von manchem als Umweg empfunden wird. Der Name Open Access ist deshalb missverständlich. Er erinnert an die ideologischen Ursprünge der gleichnamigen Bewegung, die einmal glaubte, im In­ternet könne jeder Wissenschaftler sein eigener Verleger sein, und alles würde dort umsonst angeboten, weil die Produktionskosten gegen null gingen. Das hat sich als Irrtum erwiesen.

          Thomas Thiel
          Redakteur im Feuilleton.

          Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag auf Open Access als Standardformat festgelegt. Nun hat der Wissenschaftsrat ein Positionspapier vorgelegt, das sich ebenfalls für den vollständigen Wechsel ausspricht. Als Argument wird angeführt, dass Publikationen schneller rezipiert, geprüft und weiterverwendet werden können, wenn sie sekundenschnell verfügbar sind. Das hat sich in der Pandemie zweifellos als Vorteil erwiesen. Außerdem würden wissenschaftliche Ergebnisse für die Gesellschaft leichter verfügbar. Als dritter Vorteil wird benannt, dass un­ter Open Access keine exklusiven Rechte mehr übertragen würden und Verlage in Konkurrenz zu anderen Publikationsdienstleistern träten. Lei­der wird nicht gesagt, wer damit gemeint sein könnte. Die Wissenschaft hat es versäumt, eine konkurrenzfähige Alternative aufzubauen, und zugleich am Ast der Mittel- und Kleinverlage gesägt. Das könnte sich für sie rächen.

          Nüchtern besehen meint Open Access eine Umstellung des Zahlungskreislaufs. Es zahlen nicht mehr die Bibliotheken für die Zeitschriften und Artikel, sondern der Wissenschaftler zahlt dem Verlag eine Publikationsgebühr. Das Geld muss er bei Gremien einwerben. Machtpolitisch bedeutet Open Access eine Umverteilung von den Wissenschaftlern zu den Funktionären, die über die Gelder bestimmen. Die Wissenschaftler dürfen im Gegenzug Metadaten einspeisen, also eine neue nicht honorierte Verwaltungstätigkeit übernehmen, denn damit die elektronischen Informationen ungehindert fließen können, müssen die Daten in ein maschinenlesbares Format gebracht werden.

          Fortschreitende Monopolbildung

          Das bisherige Subskriptionsmodell wird bei der großen digitalen Transformation des Publikationswesens, in dem Informationen ungehindert fließen sollen, als Auslaufprodukt be­trachtet. Wo notwendig, meinen die Autoren, können Aufsätze zusätzlich noch gedruckt werden. Im Grundsatz verabschiedet sich der Wissenschaftsrat aber vom gedruckten Wort. Langfristig will man sogar gedruckte Monographien abschaffen. Liest man ein Buch am Bildschirm?

          Dass diese Umstellung kostenneu­tral sein kann, kann nur glauben, wer sich über die Speicher- und Bearbeitungskosten für digitale Produkte ausschweigt. Es widerspricht auch dem Befund, dass die Publikationsgebühr konstant auf bislang durchschnittlich 1660 Euro angestiegen ist. An anderer Stelle kommen die Autoren zu der ernüchternden Prognose, dass Kostensteigerungen nicht auszuschließen seien und die Monopolbildung wohl zunehmen wird. Denn inzwischen ha­ben die drei großen Monopolverlage Elsevier, Springer Nature und Wiley, deren erpresserische Preispolitik seit Jahren beklagt wird, Open Access für sich entdeckt.

          Mehr als neunhundert Bibliotheken und Forschungsinstitute verhandeln seit sechs Jahren unter dem Namen Deal exklusiv mit ihnen, um ihre Marktmacht zu brechen. Die bisherigen Verhandlungsergebnisse (mit Wiley und Springer Nature) haben die Hoffnung enttäuscht, man könne mit vereinter Stärke die überteuerten Preise signifikant nach unten drücken. Vielmehr haben sie die Macht der Großverlage gegenüber ihren mittleren und kleinen Wettbewerbern gestärkt und zumindest Wiley die Lizenz gegeben, Wissenschaftler auszuspionieren und deren persönliche Daten in ihren Verwertungskreislauf einzuspeisen. Die Warnung des Wissenschaftsrats vor den neuen Tracking-Methoden wirkt angesichts des­sen zahnlos. Reichlich spät kommt die Forderung nach mehr Wettbewerb und dem Einbezug mittlerer und kleiner Verlage, die von der Open-Access-Bewegung jahrelang pauschal als Digitalisierungshindernis diffamiert wurden. Dass von den Autoren nicht einmal diskutiert wird, welche rechtliche Handhabe die Wissenschaftsorganisationen überhaupt haben, Forschern den Publikationsweg vorzuschreiben, hinterlässt nicht den Eindruck, als würden sie die Wissenschaftsfreiheit in diesem Punkt ernst nehmen.

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