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Online-Universität : Intimes im Zoom-Seminar

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Selbst die Farbe der Bettwäsche ist bekannt: Privates und Professionelles verschwimmen. Bild: plainpicture/PhotoAlto/Anne-Sophie Bost

Während diverse Quellen sozialen Austausches während der Pandemie versiegt sind, blieb ein Raum durchgehend erhalten: die Online-Uni. Und hier wurde so mancher plötzlich sehr redselig.

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          Online-Uni ist im Prinzip furchtbar, darüber besteht im mittlerweile vierten Corona-Semester kein Zweifel mehr. Keine Freunde, keine Partys, keine Lebendigkeit. Die romantische Erzählung von dem Studentenleben als Zustand aufklärerischer Wachheit des jugendlichen Geistes irgendwo in durchgemachten Nächten ist spätestens jetzt wirklich nur noch eine Erzählung. Stattdessen sind Müdigkeit und Trägheit Programm, körperlich und seelisch. Und das bei gleich gebliebenem Leistungsdruck.

          Gerade deswegen ist die Frage „Wie geht es Ihnen?“ in vielen Seminaren zu einem festen Ritual geworden, dem Dozierende wahlweise zu Beginn oder am Ende des Kurses Platz einräumen; je nach Engagement der Lehrenden entweder pro Semester oder sicherheitshalber lieber gleich pro Sitzung. „Man könnte meinen, es geht die Professoren nichts an“, sagt Swetlana Melnichuk. Sie ist Mitte 20 und studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). „Andererseits geht es sie halt doch was an, damit sie irgendwie verstehen, was wir so durchmachen und wie schwer es für uns ist.“

          Auch einer von Swetlanas Professoren erkundigte sich nach dem Wohlergehen der Studierenden. „Und dann haben wir natürlich unser Herz ausgeschüttet.“ Vor allem Studenten, die neu in der Stadt oder sogar neu im Land gewesen seien, hätten sich geöffnet. Viele hätten Gedanken geäußert wie: „Jetzt sitze ich hier allein in meinem Zimmer ohne Freunde und kann niemanden kennenlernen“, berichtet Swetlana. Weit weg von den Eltern seien Professoren zum Teil die einzigen Bezugspersonen.

          Diese Erfahrung hat auch Julia Brailovskaia gemacht. Sie ist Dozentin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum und forscht auch zum Thema Mediennutzung. „Studierende schreiben mir viel mehr, rufen mich viel mehr an“, sagt Brailovskaia. „Und teilweise geht es nur darum, dass ich ihnen sage: Sie schaffen das schon.“ Die Hemmschwelle sei für viele online offenbar geringer. So oft persönlich in ihr Büro zu kommen, hätten sich Brailovskaias Studierende früher niemals getraut.

          Online-Uni ist also im Prinzip immer noch furchtbar, kann aber unter Umständen intime Situationen schaffen, die in Präsenz nie passiert wären. Doch wie kommt es, dass wir uns Menschen, die wir kaum kennen, plötzlich derart anvertrauen?

          Weniger formell, weniger reserviert

          Für Brailovskaia ist das eine logische Konsequenz in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Co. „Der Mensch ist ein soziales Wesen, und wir sind quasi darauf programmiert, mit anderen zu interagieren.“ Dass gerade die alltäglichen Kontakte wegen des Coronavirus weggebrochen sind, sei ein Problem für die menschliche Natur. „Menschen wollen soziale Interaktion, sie wollen sich dabei selbst darstellen, und wenn das in der Offline-Welt entfällt, kompensiert man es in der Online-Welt.“ Das zeige sich ohnehin in den sozialen Medien. Und nun eben auch im Zoom-Seminar. Wenn sich das Mitteilungsbedürfnis privat nicht mehr decken lässt, verlagert es sich an den Ort, an dem das Studium – ob es die Studierenden wollten oder nicht – während der gesamten Pandemie weiterhin stattfinden musste. Doch nicht nur dieser Umstand entlockt im Unterricht die eine oder andere aufgestaute Alltagsanekdote oder emotionale Offenbarung.

          „Durch die Tatsache, dass wir Zoomsitzungen von zu Hause aus machen, verschwimmen die Grenzen zwischen privat und nicht privat“, sagt Brailovskaia. „Ich bin nicht mehr in der Uni oder zu Hause, sondern ich bin in der Uni von zu Hause aus.“ Das verschafft mitunter tiefere Einblicke in das Leben von Dozierenden und Studierenden, als es sie vor Corona je gegeben hätte. Und es verändert das Verhalten im Seminar.

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