Dichten in der Schule : Der Kern des Deutschunterrichts wird vernachlässigt
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Eines der in der Lehrerfortbildung zum literarischen Schreiben umgesetzten Projekte: Reimübungen für Zweiklässler Bild: Yves Noir Photographie
In den Fächern Kunst und Musik sind praktische Übungen an der Tagesordnung. Das Fach Deutsch hingegen fremdelt mit dem literarischen Schreiben. Dem versucht Erwin Krottenthaler abzuhelfen. Ein Interview.
Warum ist es so wichtig, literarisches Schreiben an Schulen zu unterrichten?
Erwin Krottenthaler: Festzuhalten ist erst einmal, dass der Literaturunterricht, egal an welcher Schulform, als Teil des Deutschunterrichts in den letzten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, kontinuierlich abgenommen hat. Die Länge der besprochenen Texte wurde kürzer, die Zeitfenster für den Umgang mit Literatur sind kleiner geworden. Das ist bedauerlich. Wir sind der Meinung, dass Schüler über das literarische Schreiben einen neuen Zugang zur Literatur gewinnen können. In allen schulischen Bildungsplänen werden sogenannte produktionsorientierte Verfahren gefordert. In der Realität, im Rahmen des Unterrichts, wird die Vorgabe aber nur rudimentär umgesetzt. Darauf wollen wir mit den Programmen im Literaturpädagogischen Zentrum des Literaturhauses Stuttgart (LpZ) reagieren. Wir arbeiten sehr intensiv mit dem Deutschdidaktiker Ulf Abraham von der Universität Bamberg zusammen. Von ihm und anderen haben wir zu Beginn unseres Programmes auch die Rückmeldung erhalten, dass das literarische Schreiben im Lehramtsstudium und im Referendariat nur ansatzweise vorkommt. Wir haben es also im Fach Deutsch mit einer komplett anderen Situation zu tun als in musischen Fächern wie Kunst und Musik, in denen die Praxis eine ungleich wichtigere Rolle spielt.
Worin sehen Sie den spezifischen Gewinn für Schüler beim literarischen Schreiben?
Im Jahr 2013 ist eine Publikation des Rates für kulturelle Bildung mit dem Titel „Alles immer gut. Mythen kultureller Bildung“ erschienen. In der Broschüre wurden grundlegende Fragen gestellt, die für unsere Arbeit glaube ich sehr entscheidend sind. Was will man eigentlich mit kultureller Bildung, zu der das literarische Schreiben gehört, im Rahmen der Schule, aber auch darüber hinaus, erreichen? Zunächst geht es darum, in der Schreibpraxis, beim Verfassen etwa eines Prosatexts oder einer szenischen Collage, besser zu verstehen, wie literarische Texte gebaut sind. Das ist aus meiner Sicht der Kern: zu erfahren, wie Literatur in sämtlichen Formen gemacht ist. In der genannten Publikation gibt es dann eine Stelle, die auf einen weiteren wichtigen Punkt hinweist. Dort heißt es, Schülerinnen und Schüler lernten in verschiedensten Kontexten kultureller Bildung, „ihre Wahrnehmung wahrzunehmen“, sich ihrer Sinne bewusst zu werden und diese zu benutzen. Das finde ich einen guten Ansatz. Davon abgesehen denke ich, dass es auch darum geht, durch die Beschäftigung mit den Künsten eine eigene Haltung zu entwickeln sowie Kontexte, in denen Literatur entsteht, gesellschaftliche und biographische Prozesse, die in Literatur reflektiert werden, kennenzulernen. All das versuchen wir zu vermitteln und ausgehend von den Lehrplänen umzusetzen.
Wie kommt das: Im Kunstunterricht gehört es dazu, dass die Schüler selbst etwas zeichnen und malen. In der Musik wird ganz selbstverständlich musiziert. Nur im Deutschunterricht hat man sich vom literarischen Schreiben entfremdet.