Hohe Wechselbereitschaft : Viele Deutsche stellen ihre Arbeit infrage
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Das Homeoffice hat an der Bindung zum Arbeitgeber nicht viel verändert. Trotzdem stellen viele Menschen ihre Karriere infrage. Bild: dpa
In Amerika ist schon länger von der „Great Resignation“ die Rede. Frustriert von Corona kündigen viele Arbeitnehmer dort ihren Job. Neue Daten zeigen jetzt: Auch in Deutschland ist nicht alles eitel Sonnenschein.
Seit dem zweiten Jahr der Corona-Pandemie war immer häufiger von der so genannten „Great Resignation“ die Rede. Das Phänomen bezeichnet eine große Unzufriedenheit der Menschen mit ihren derzeitigen Stellen, ein großes Grübeln über den eigenen Job und die Karriere und eine hohe Wechselbereitschaft, die daraus folgt. Vor allem in den USA wurden auch tatsächlich erhöhte Kündigungsraten gemeldet, selbst bei Beschäftigten, die noch keinen neuen Job in Aussicht hatten.
Neue Daten deuten nun darauf hin, dass das große Nachdenken und Infragestellen auch vor den Deutschen nicht Halt gemacht hat: Laut dem „Gallup Engagement Index“, einer Umfrage, die seit 2001 einmal jährlich um diese Jahreszeit erscheint, wollen nur noch 60 Prozent der Beschäftigten in einem Jahr ohne Wenn und Aber für ihren derzeitigen Arbeitgeber tätig sein. 2018 waren es noch 78 Prozent. 14 Prozent der Deutschen sind den Umfrageergebnissen zufolge aktiv auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit. Das sind doppelt so viele Beschäftigte wie im vergangenen Jahr. Es ist sogar der höchste Wert, der jemals im Rahmen des Engagement Index gemessen wurde. Für die Umfrage werden einmal im Jahr 12 Fragen zum Arbeitsplatz und -umfeld an mehr als 1000 Arbeitnehmer gestellt. Für die aktuelle Studie wurden 1500 zufällig ausgewählte Beschäftigte im November und Dezember 2021 telefonisch befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft in Deutschland.
Wurde lange bezweifelt, dass Corona auch in Deutschland zu einer erhöhten Wechselbereitschaft geführt hat, lässt sich mit dieser Studie nun festhalten, dass sich die Situation in Deutschland zurzeit sogar dynamischer gestaltet als in den USA. Der Anteil deutscher Beschäftigter, die aktiv eine neue Stelle suchen, ist den Gallup-Zahlen zufolge um 4 Prozentpunkte höher als bei den US-amerikanischen. Ungewöhnlich viele Beschäftigte in Deutschland wurden der Umfrage zufolge zuletzt auch von Headhuntern angesprochen – es war jeder dritte Beschäftigte in den vergangenen zwölf Monaten.
Nicht viel besser geworden ist die Lage, wenn man auf die emotionale Bindung der Arbeitnehmer zu ihrem jetzigen Arbeitgeber schaut: Die Zahl derjenigen, die schon innerlich gekündigt haben, liegt derzeit der Studie zufolge bei 14 Prozent, im Vorjahr waren es 15 Prozent. Noch erschreckender ist die Zahl derjenigen Befragten, die nur eine geringe Bindung an ihr Unternehmen verspüren und deshalb reinen Dienst nach Vorschrift machen: mit 69 Prozent sind das immerhin mehr als zwei Drittel. Allerdings ist diese Zahl in dem Index seit Jahren hoch, die Schwankungen bleiben klein. Nach Beginn der Coronakrise hatte es sogar zunächst so ausgesehen, als hätte sich die Bindung der Beschäftigten an ihre Arbeitgeber sogar etwas erhöht.
Bemerkenswert ist aber, dass – zum Teil wohl aufgrund der Pandemie – eine beträchtliche Zahl der Arbeitnehmer berichtet, gestresst und innerlich ausgebrannt zu sein: 38 Prozent sind es laut der aktuellen Studie, vor Corona lag der Wert dagegen noch bei 26 Prozent. Die Studienmacher des Beratungsunternehmens Gallup geben zu bedenken, dass eine erhöhte Bindung an den Arbeitgeber Stress senke und vor Burnout schütze. „Vor allem ist und bleibt es gute Führung, die als emotionales Auffangbecken wirkt und vor Fluktuation schützt“, sagt Marko Nink, der die Gallup-Studie führend mit betreut.