Fachkräftemangel : Viele Bewerber sitzen jetzt am längeren Hebel
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Homeoffice bevorzugt Bild: dpa
Nicht nur Hilfskräfte und Fachkräfte fehlen, auch Chefposten können immer schwieriger besetzt werden. Sogar junge Job-Kandidaten fordern zuweilen schon Startprämien.
Der Mangel an Fach- und Führungskräften beherrscht die Schlagzeilen. Der Spieß auf dem Stellenmarkt hat sich umgedreht: Die Bewerber sitzen am längeren Hebel. Zu beobachten ist das etwa auf der Personalplattform One Hiring. Dort bewerben sich die Firmen bei den Arbeitskräften statt umgekehrt. Die Kandidaten stellen anonym ihr Profil ein und listen ihre Fähigkeiten auf, vor allem aber ihre besonderen Wünsche: Homeoffice, Kinderbetreuung, Teilzeit und so weiter.
Wenn ein Arbeitgeber das bieten kann, darf er den Kandidaten für ein Gespräch anfragen. Solche für Bewerber paradiesischen Verhältnisse kannte man bisher allenfalls aus der IT-Branche, wo Programmierer ihre Arbeitgeber gern mal von oben herab behandeln. Mittlerweile kommen auch Fachkräfte manch anderer Branche in den Genuss eines solchen Machtgefälles. Julian Schubert, Chef und Gründer von One Hiring, beobachtet etwa im Finanzsektor und in der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsbranche einen solchen Wandel.
Nachhaltigkeit ist en vogue
Seine Plattform hat allein im vergangenen Jahr 1200 Fachkräfte in eine neue Festanstellung vermittelt. Bei vielen davon handelt es sich um Steuer- oder Unternehmensberater aus den vier großen Prüfungs- und Beratungsgesellschaften. Sie haben einen neuen Job bei den mittelgroßen Verfolgern der Prüferbranche gefunden, wo sie sich eine bessere Balance zwischen Beruf und Privatleben, gleichzeitig aber auch einen schnelleren Aufstieg erhoffen. Besonders attraktiv für Prüfer und Berater ist aktuell das Geschäft mit der Nachhaltigkeit. „ESG ist en vogue und passt derzeit total in die Welt“, bestätigt Personalfachmann Schubert.
Dass die von Klimaschutz und Menschenrechten beseelte Generation der Berufseinsteiger knallhart verhandelt, erlebte neulich ein bekannter Wirtschaftsprüfer. Auf einem Managerkongress schilderte er den erstaunten Zuhörern die Forderung einer auf ESG spezialisierten Bewerberin, die ein Antrittsgeld zur Bedingung für ihre Unterschrift unter den Arbeitsvertrag machte. Als der Prüfer nach der Höhe dieser „Signing Fee“ fragte, bekam er eine markante Ansage: Ein Jahresgehalt. Junge Leute wollen nicht nur Gutes tun, sondern auch gut verdienen. Die derzeitigen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt machen es möglich, solche Vorstellungen durchzusetzen.
Viele scheuen das Risiko
Der Personalberater Hellmuth Wolf, Partner bei Signium , beobachtet nicht nur einen Mangel an Fachkräften. „Vor allem auf den höheren Ebenen fehlen geeignete Kandidaten“, sagt Wolf. „Wir müssen daher insbesondere von einem Führungskräftemangel sprechen.“ Wolf, der auf die Prüfungs- und Beratungsbranche spezialisiert ist, führt den Führungskräftemangel auch auf die abnehmende Neigung junger Führungskräfte zum Risiko zurück. Wer Partner in einer großen Prüfungs- und Beratungsgesellschaft werden will, muss sich für die Finanzierung seiner Kapitaleinlage verschulden. Davor schrecken jedoch viele zurück, weil sie zum Beispiel ihr Geld schon in eine teuere Immobilie gesteckt haben oder mehr Zeit für ihr Privatleben wollen. Insbesondere mittelständische Prüfungs- und Beratungsgesellschaften müssten teilweise Mandate ablehnen, weil ihnen junge Berufsträger an Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern zur Abarbeitung fehlten. Die angekündigten Pläne großer Gesellschaften zum Aufbau neuer Stellen sind laut Wolf vielfach Wunschlisten, da es immer schwieriger werde, die offenen Stellen mit Berufsanfängern zu besetzen. „Am Ende prüft meist keiner nach, wie viele der geplanten Einstellung wirklich erfolgt sind“, sagt Headhunter Wolf.