Unite-Chef im Gespräch : „Der klassische Rahmenvertrag ist tot“
- -Aktualisiert am
Sebastian Wieser traut Unite zu, auf seinem Geschäftsfeld ein europäischer Champion zu werden. Vor allem in England gab es zuletzt Fortschritte. Bild: Tom Wesse
Immer mehr Behörden regeln ihren Einkauf über die Handelsplattform von Unite. Dabei haben deren Chef vor ein paar Jahren selbst die eigenen Mitarbeiter für verrückt gehalten – bis der Ukrainekrieg die Weltwirtschaft auf den Kopf stellte.
Als Sebastian Wieser im Jahr 2012 zusammen mit seinem Ko-Vorstandschef das gut laufende Geschäftsmodell seines Unternehmens komplett umkrempeln will, halten ihn die meisten für ziemlich verrückt – einschließlich der eigenen Mitarbeiter. „Wir haben damals einiges an Marge mit bestehenden Kunden verloren“, erinnert sich Wieser. Was war geschehen?
Wieser gründete im Jahr 2000 mit vier Kollegen der Unternehmensberatung McKinsey den Onlinemarktplatz Mercateo, der seit zwei Jahren Unite heißt. Einkäufer aus Unternehmen sollten über das Internet einfach Produkte für den Büroalltag kaufen können. Insbesondere Nischenprodukte, die Unternehmen nur in geringem Umfang benötigen, bestellen Einkäufer gerne digital über solche Plattformen. Ein zeitaufwendiger Preisvergleich würde sich für die verhältnismäßig kleinen Warenkörbe von 200 oder 300 Euro schlicht nicht lohnen. Deshalb interessiert es die Unternehmen auch kaum, dass Wiesers Unternehmen enorme Margen verlangen kann.
Der Marktplatz ist nach knapp fünf Jahren profitabel. Doch Wieser will mehr. „Ich hätte damals gewinnbringend verkaufen können, aber da hatte ich keinen Bock drauf“, sagt er. „Was soll ich mit dem Geld, wenn ich montags nichts mit mir anzufangen weiß?“ Also entwickelt er das Unternehmen weiter, will nicht nur eine Plattform für kleine Mengen an Nischenprodukten anbieten, sondern auch für den Einkauf von unternehmensentscheidender Ware im großen Stil. Dafür braucht es Vertrauen, ist Wieser überzeugt. Er will ein Netzwerk aufbauen, in dem Kunden und Anbieter sich untereinander austauschen. Dafür bittet er Kunden, bisher analoge Geschäftsbeziehungen über die Plattform abzuwickeln, und verzichtet dafür auf Provision. Zudem schwächt das neue Modell das eigentlich gut laufende Marktplatzgeschäft. „Nicht wenige haben sich gefragt, ob wir total irre geworden sind.“
Fast zehn Jahre „dümpelte das Modell vor sich hin“
2012 führt Wiesner für dieses Netzwerkmodell ein Auktionssystem ein, ähnlich dem des Onlinegebrauchtwarenhändlers Ebay. Kunden stellen ihren gewünschten Warenkorb in das System. Anbieter können einen Maximalpreis angeben, mit dem sie bei einer Auktion starten, und einen Minimalpreis, bis zu dem sie gehen. Dieser ist den Einkäufern nicht bekannt. Die Software hinter dem Marktplatz sorgt dafür, dass Wettbewerber bis zum Minimalpreis immer um einen Cent unterboten werden. Der Warenkorb wird von einem Algorithmus für die Einkäufer dann voll automatisiert möglichst günstig zusammengestellt, je nach Verfügbarkeit auch über verschiedene Anbieter. Unite kauft die Bestellung dann für eine Sekunde, bevor sie an den Kunden weitergeht.
Dabei entscheidet nicht nur der Preis, sondern auch andere Präferenzen. Einkäufer können einstellen, welchen Wert sie der Lieferzeit oder Nachhaltigkeitskriterien beimessen wollen. So kann eine Auktion auch an den Anbieter gehen, der vielleicht zwei Prozent teurer war, dafür aber eine Frau in der Geschäftsführung hat, sofern das vom Einkäufer gewünscht ist. „Das macht zum Beispiel Nachhaltigkeit ökonomisch quantifizierbar und strategisch aussteuerbar“, sagt Wieser. Nun könne auf oberster Ebene entschieden werden, für gewisse Nachhaltigkeitskriterien zum Beispiel zwei Prozent mehr zu zahlen. Da Kunden und Anbieter nach der Auktion eine detaillierte Auswertung erhalten, warum der Konkurrent und nicht sie den Auftrag erhalten haben, wäre das für Anbieter ein Anreiz, in Nachhaltigkeit zu investieren. „Wenn ein Unternehmen sieht, sie können mit nachhaltigeren Produkten mehr verdienen, erleichtert das Investitionen“, sagt Wieser.