Kolumne „Uni live“ : Denken statt werfen!
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Wie kommt jetzt wieder Leben in den Hörsaal und welche Rolle spielen Mikros künftig in den Hochschulen? Bild: picture alliance / Sebastian Gol
Corona und der Ukrainekrieg versetzen die Hochschulen in den Zustand der Krise. Nötig wäre eine Phase der Selbstreflexion: Was wollen die Universitäten überhaupt? Gedanken zum Semesterbeginn.
Vergangenes Wochenende bin ich mit Freunden zum ersten Mal seit Corona wieder in unsere Lieblingskneipe nach Heidelberg gegangen. Dort war es so wie immer: Schmutz von siebzig Jahren und Udo Jürgens aus dem Lautsprecher. Die Zigaretten qualmten, das Pils schmeckte wie eh und je und irgendwann sind wir davongezwitschert. Corona egal. Nur eines war anders: Eine Ukraine-Flagge hing über dem Thekenregal, unübersehbar groß.
Die Zeichen stehen auf Normalität und wir Studierenden kehren aus unserer Zwangspause zurück ins bunte Leben. Die aus den höheren Semestern finden ihr altes Leben wieder, die jüngeren müssen sich neu orientieren, weil sie als Teil der Corona-Kohorte die Universität nur per Zoom aus dem Kinderzimmer kennen. Wir alle hoffen jetzt, dass die (übrig gebliebene) Studienzeit wieder so verheißungsvoll wird, wie sie einmal war. Doch wie das funktionieren soll, weiß niemand. Den meisten dämmert es, dass eine Rückkehr in eine Hochschullandschaft anno 2020 unmöglich ist.
Die ganzen Corona-Schnellteststäbchen haben nicht nur an unseren Gehirnrückwänden gekratzt, sondern auch an dem Verständnis von Studium und Hochschule. Manche Vorlesungen und Seminare wurden ohne nennenswerten Qualitätsverlust ins Digitale überführt, Hausarbeiten ließen sich ohne den Besuch einer Bibliothek schreiben und Klausuren verdeutlichten in ihrer „Take home“-Variante all ihren Sinn – oder Unsinn.
Was heißt es überhaupt, zu studieren?
Man muss es hervorheben, die Online-Uni hat ihre guten Seiten. Und sie verschärft wie ein Brennglas die Schwachstellen des Betriebes. Eine schrecklich schlechte Vorlesung ist online zum Beispiel viel erträglicher, weil man das aufgezeichnete Video einfach in doppelter Geschwindigkeit laufen lassen kann und nur bei klausurrelevanten Stichworten auf Pause drückt. So lernt man zwar nichts, aber die Klausur wird gut. Wie effizient ist das denn?!
Die Idee des (physischen) Uni-Raums als Tempel des Geistes hat ausgedient. Die Vorstellung, man müsse nur genügend Menschen in einen kleinen Raum pferchen und der Rest wird schon, ist heute eine Illusion. Für die Hochschulen heißt das, dass sie sich schnell verändern müssen, wenn sie so bleiben wollen, wie sie sind. Will die Universität auch in Zukunft noch ein Ort des leiblichen Zusammentreffens mit Relevanz für die Gesellschaft sein, muss sie ein Ort werden, der sich nicht einfach digitalisieren lässt. Dafür muss sich die Institution reflektieren und ihre Stärken erkennen.
Fragen zur Selbstanalyse gibt es viele. Was macht eine gute Lehre aus? Was heißt es überhaupt, zu studieren? Will die Uni ihre Studierenden bilden oder ausbilden? Welche gesellschaftliche Aufgabe hat eine Universität? Wie kann sie Verantwortung übernehmen? Kurz: Welche Rolle möchte die Universität im 21. Jahrhundert wahrnehmen und was muss sie dafür tun?
Wird die Uni zur Turnhalle?
Die Frage stellt sich umso mehr mit dem Blick auf die Ukraine und jenen Despotismus, auf den die Hochschulen mit sogenannter Science Diplomacy antworten und ihre Kooperationen mit russischen Universitäten auf Eis legen. In den vergangenen zwei Jahren hat die akademische Welt ihre Naivität verloren, spätestens beim ersten Bombendonnern im Februar ist sie aus ihren Träumen eines akademischen Elysiums erwacht und fand sich in der ungeheuren Realität wieder. Tut die Universität daran recht? Eine leichte Frage ist das nicht, weil sie an den Grundfesten unseres Verständnisses der Institution rüttelt.
Über all das gilt es zu diskutieren, das tut aber niemand. In Mannheim macht man sich derweil lieber Gedanken übers Dinge-Werfen. Kein Witz! Die Technik-Gurus der Uni testen aktuell ein neues Mikrofonsystem, das sich für die hybride Lehre eignen soll. Das neue Mikro-Konzept ist eine Mischung aus Selbsthilfegruppe und Sportunterricht: Damit auch die online zugeschalteten Studierenden das Gesagte im Seminarraum verstehen können, sollen sich die dort Anwesenden ein als Schaumstoffwürfel getarntes Mikro untereinander zuwerfen.
Ich habe da sofort zwei Einwände. Erstens: werfen! Zweitens: fangen! Mit Erhalt meines Abiturs und dem Ende des Schulsports habe ich mir geschworen, nie wieder erniedrigende Wurf-Fang-Spiele über mich ergehen zu lassen. Das wird auch eine Flitze-Uni so schnell nicht ändern. Nebenbei wäre das Schaumstoffmikro eine Bankrotterklärung an die Uni. Wie soll man ordentlich nachdenken können, wenn die ganze Zeit so ein Ding durch den Raum brezelt? Wie soll man bitte richtig diskutieren, wenn nur derjenige sprechen darf, der den Redeschaumstoff in der Hand hat? Was beim Yoga-Kurs Kuschelatmosphäre schafft, nimmt dem Uni-Seminar seinen Sinn, weil es jeglicher Debatte den Garaus macht.
Wenn Kraft und Dynamik nicht mehr im Wort liegen, sondern ausschließlich in Wurfgeschossen, dann wird die Uni zur Turnhalle. Jetzt müssen wir uns fragen, was wir als Gesellschaft wollen: Uni oder Turnhalle? Wollen wir Leute, die gesittet Redewürfel werfen können, oder Menschen, die im Denken und Debattieren stark sind? Für mich ist die Antwort klar. Wenn so ein Würfel auf mich zufliegen sollte, werde ich ihn aus dem Fenster werfen, und ein paar Stühle gleich hinterher – damit das Ding kaputt geht. Und wenn alle die Turnhalle wollen? Dann fliegen zur Not auch dicke Bücher.
Leon Igel (26 Jahre alt) studiert an der Uni Mannheim Germanistik und BWL im Master, dabei beschäftigt er sich weniger mit Goethe, dafür umso mehr mit Christoph Schlingensief. Wenn ihm das zu bunt wird, fährt er zu seinen Eltern und hackt Holz. Oder backt Brot. Corona sei Dank kann er das jetzt auch.