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Kolumne „Uni live“ : Ohne die kleinen Fächer geht es nicht

  • -Aktualisiert am

Im modernen Universitäts-Audimax spiegelt sich das historische Gebäude des Institutes für klassische Altertumswissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle Bild: Picture-Alliance

Die Debatte um die drastischen Sparmaßnahmen an der Universität in Halle ist kein Einzelfall. Auch an anderen Hochschulen müssen kleine Studiengänge um ihre Existenz bangen. Das ist erschreckend kurzsichtig.

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          Viele Student haben erleichtert aufgeatmet, als die Pläne des Rektorats der Universität Halle-Wittenberg, sämtliche kleine Studienfächer zu schließen, vergangene Woche vom Senat abgelehnt wurden. Zur Debatte stand die Schließung und Zusammenlegung von Studiengängen wie der Archäologie, Latinistik und Gräzistik, Indologie und Japanologie sowie der Sportwissenschaften und Land- und Umwelttechnik, die von Seiten des Rektorats mit dem Verweis auf dringend notwendige Sparmaßnahmen gerechtfertigt wurde. Doch obgleich die Kürzungspläne fürs Erste vom Senat der Uni abgewendet werden konnten, ist noch unklar, wie es letztlich um das Schicksal einzelner Studienfächer an der Uni Halle bestellt ist, denn bislang wurde noch keine alternative Lösung gefunden.

          Die hitzige Diskussion, die in Halle geführt wurde, hat an Hochschulen in ganz Deutschland für Aufregung gesorgt. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass die Situation in Halle kein Einzelfall ist – auch an anderen Universitäten sind Fachbereiche immer wieder von der drohenden Schließung einzelner Studiengänge oder gar ganzer Institute betroffen. Welche Folgen diese Schließungen für die Studenten und die Vielfalt und Freiheit der Wissenschaft haben können, wird dabei gerne vergessen. Der Gedanke, eine Universität könne wie ein Unternehmen geführt und nach den Prinzipien von Nutzen und Effizienz ausgerichtet werden, ist irreführend und gefährlich.

          Wenn Universitäten sparen müssen und gefragt wird, an welcher Stelle diese Einsparungen erreicht werden könnten, wird gerne als erstes auf die sogenannten „kleinen Fächer“ geschaut, die vor allem im geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereich angesiedelt sind ­– denn die Anzahl der Studenten und Lehrstühle, die ein Studiengang vorweisen kann, wird nicht selten mit seiner allgemeinen Bedeutung assoziiert. Die „Arbeitsstelle Kleine Fächer“ an der Uni Mainz zählt derzeit 159 kleine Fächer. Darunter fallen alle Studienfächer, die nicht mehr als drei Lehrstühle besitzen.

          Es braucht die Spezialisierung einzelner Fächer

          Kleine Fächer werden in der Umgangssprache häufig auch „Orchideenfächer“ genannt – und das völlig zu Unrecht. Denn der Name legt eine Sichtweise nahe, nach der diese Fächer, gleichsam wie Orchideen, zwar exotisch seien und interessante Nischenthemen behandelten, aber auch sehr viel Pflege brauchten. Demgegenüber brächten sie jedoch kaum Ertrag, weil sie eben primär keine Nutzpflanzen, sondern Zierpflanzen seien. Die Kosten-Nutzen-Rechnung gehe bei diesen Fächern schlicht nicht auf. Aber ein Studienfach ist keine Blume.

          Ein Studienfach ist ein Ort, an dem Menschen mit Neugier und Forschergeist zusammenkommen, neue und alte Ideen entwickeln, Zusammenhänge aufzeigen, Grundlagen und Methoden erlernen und spezielles Fachwissen erlangen. Und ja, dafür braucht es Geld – aber es braucht auch die Spezialisierung einzelner Fächer.

          In einer Zeit, in der China und Japan die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft der Erde bilden und den Weltmarkt Stück für Stück erobern, ist es töricht, Fächer aus dem Bereich der Asienwissenschaft zu schließen. Wo sollen wir Studenten dann Sprachen wie Japanisch und Chinesisch lernen? Wie sollen wir uns mit der Kultur und Geschichte des asiatischen Raums vertraut machen, der so riesig, faszinierend und vielfältig ist und immer näher rückt, weil unsere Welt durch die Digitalisierung immer kleiner wird? Wer stellt dann die Übersetzer und Dolmetscher bereit und all die Mitarbeiter, die an Universitäten und in Unternehmen Sprachbarrieren überwinden und mühelos internationale Kontakte pflegen? Wenn die Unis hier ausfallen, entsteht eine Lücke, die nicht ohne Weiteres wieder gefüllt werden kann.

          Unscheinbare Riesen

          Ähnliches gilt für die Einsparungen im Bereich der Altertumswissenschaften. Wenn wir die Ursprünge alltäglicher Dinge wie unserer Sprache und Philosophie oder gar unseres Straßensystems verstehen wollen, brauchen wir Kenntnisse in Latein und Altgriechisch. Wenn aber immer mehr Lehrstühle verwaisen und Studiengänge aufgelöst werden, gibt es immer weniger Möglichkeiten, die alten Sprachen zu lernen. Damit laufen wir Gefahr, die Außengrenzen des Studiums immer enger zu ziehen.

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          Gerade die kleinen Studienfächer haben großes Potential, Studenten einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu ermöglichen: Hier können sie tote und lebendige Sprachen wie Sanskrit und Arabisch lernen, die sonst kaum ein Institut unterrichtet, ihrem VWL-Studium mit einem Nebenfach in einer Ostasienwissenschaft ein klareres Profil für den späteren Berufseinstieg geben oder gar praktische Kenntnisse in der Gebärdensprache erwerben. Solche Angebote werden von kleinen Fächern oft bereitgestellt und von zahlreichen Studenten genutzt, die teilweise aus ganz anderen Fachbereichen kommen. Kleine Fächer sind also oft gar nicht so klein, wie sie zunächst scheinen. Obwohl sie so unscheinbar wirken, sind sie eigentlich sogar echte Riesen. Denn wenn man es recht bedenkt, beweisen sie ihre Größe gerade dadurch, dass sie immer wieder von Studenten aller möglichen Fächer aufgesucht und um Rat gefragt werden.

          Die Universitäten wurden auf Grundsätzen aufgebaut, die nicht verletzt werden dürfen – Prinzipien wie die Freiheit von Forschung und Lehre und die Vermehrung und Verbreitung von Wissen. Sie haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen und der Gesellschaft. Ganz besonders altehrwürdige Universitäten wie Halle-Wittenberg, die zu ihrer Gründungszeit im frühen 19. Jahrhundert zusammen mit der Uni Göttingen als ein Zentrum der Aufklärung und eine Hochburg der Altertumswissenschaften galt, hat eine Verantwortung gegenüber ihrer Geschichte und den Fächern, die sie mit aufgebaut hat.

          Auch in wirtschaftsethischer Sicht umstritten

          An meiner Universität in Göttingen wurde in den letzten Jahren unter anderem die Schließung der Indologie beschlossen, die Lehrstühle für Sinologie und Japanologie sind schon in den frühen Zweitausender Jahren nicht mehr neu besetzt worden, und aktuell steht eine Schließung der Skandinavistik zur Debatte. Ich selbst habe Komparatistik studiert, ein Fach, das so klein ist, dass es in Göttingen nicht einmal ein eigenes Institut hat. Deshalb kann ich die Sorge anderer Studenten, dass ihr Studiengang noch während ihres Studiums vielleicht auf immer geschlossen wird, gut nachvollziehen. Wir brauchen als Studenten eine Perspektive, die länger als die nächsten ein bis zwei Jahre währt. Wir wollen nicht das Gefühl haben, dass unser Studiengang irrelevant oder nutzlos sei, nur weil er der Universität in ökonomischer Hinsicht keinen Nutzen bringt.

          Universitäten rein aus ökonomischer Perspektive zu verwalten, widerstrebt in jedem Sinne den Idealen von Wissenschaft und Freiheit, auf denen viele deutsche Universitäten gegründet wurden. Eine Universität ist eine unabhängige Forschungseinrichtung und kein Unternehmen, das an Gewinnmaximierung orientiert ist, die im Übrigen auch in wirtschaftsethischer Sicht umstritten ist. Und als solche sollte sie auch geführt werden.

          Argumente wie jene, dass kleine Fächer – insbesondere in den Geisteswissenschaften – unnötige Kosten verursachten und ohnehin nur wenige Studieninteressierte anzögen, werden obsolet, wenn man sie umdreht: Gerade weil es so wenige Studierende gibt, verursacht das Betreiben eines einzelnen Lehrstuhls vergleichsweise geringe Kosten, zumal die Geisteswissenschaftler meist ohnehin nur wenige Materialien benötigen, um ihre Arbeit ansetzen zu können und damit im ökonomischen Sinne kostengünstige Arbeitskräfte sind. Eine niedrige Studierendenzahl ermöglicht eine bessere Betreuung, woraus wiederum exzellent ausgebildete Wissenschaftler hervorgehen können. Ganz gleich, ob jene am Ende in der freien Wirtschaft oder der Universität arbeiten, der Gesellschaft werden sie mit ihrer Arbeit in jedem Fall einen Dienst erweisen.

          Deshalb wünsche ich mir, dass das Sterben kleiner Fächer ein Ende hat und auch jene, die mit der Verteilung der Gelder für Forschung und Lehre betraut sind, versuchen, einen Perspektivwechsel einzunehmen und die Verdienste der kleinen Fächer wertzuschätzen. Nur, wenn wir die Freiheit der Wissenschaft gewährleisten, können wir eine lebendige Wissenschaftskultur mit gut ausgebildeten Fachspezialisten aufrechterhalten.

          Laura Henkel (24 Jahre alt) beendet derzeit ihren Master in Literaturwissenschaft an der Uni Göttingen, sammelt fremdsprachige Lieblingswörter wie andere Leute Briefmarken, leidet an Abibliophobie und fragt sich, wie man die Disziplin, sechs Bücher parallel zu lesen, zum Beruf macht.

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