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Kolumne „Uni live“ : Jura – jetzt auch für Frauen

  • -Aktualisiert am

Viele Frauen studieren Jura; bei weitem nicht so viele Frauen lehren das Fach auch an der Uni. Bild: Patrick Junker

„Student A schlägt Student B in einer Bar zu Boden. Die Freundin von B ist so beeindruckt von diesem ,animalischen Akt’, dass sie sich dem Angreifer an den Hals wirft.“ So klingen Fälle in meinem Lehrbuch. Zufällig hat es ein Mann geschrieben.

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          Juraprofessor ist ein Männerberuf. Wer Jura studiert, weiß das. Wer es lehrt, erst recht. In meinem ersten Studienjahr, erfuhr ich, was eine invitatio ad offerendum ist und wie man Verfassungsbeschwerde einlegt. Und zwar ausschließlich von sehr intellektuellen, zumeist großgewachsenen Herren in eng geschnittenen Anzügen.

          An meiner Uni sind in diesem Jahr ein Fünftel der der Professuren von Frauen besetzt. Ich finde das recht wenig. Vor allem daran gemessen, dass mehr Frauen als Männer Jura studieren. Aber eigentlich liegen wir damit noch über dem Durchschnitt. 2017 waren 17,2 Prozent der Jura-Lehrstühle in Deutschland an Frauen vergeben. Aktuellere Zahlen gibt es nicht, ich vermute aber ganz stark, dass sich nicht so viel verändert hat. So viele alte Männer mit Professorenhintergrund gehen pro Jahr nicht in Rente.

          Wenden wir uns einen Moment der Fachliteratur zu: Da gibt es zum Beispiel die Gesetzes-Kommentare. Das sind die Bücher, in die man reinschaut, wenn man das Gesetz nicht versteht. Gut, das stimmt nicht ganz. Die Kommentare bieten Auslegungen. Sie schlagen vor, wie die Worte im Gesetz zu verstehen sind. Denn so gerne wir mit dem Begriff Rechtswissenschaft suggerieren wollen, dass es sich um eine Wissenschaft handelt, in der man bei gleichem Versuchsaufbau immer zur gleichen Lösung kommt: Die juristische Lehre besteht zum großen Teil aus Diskurs. Nun können Sie gern einmal schätzen, wie viele von diesen Kommentaren 2017 von Männern herausgegeben und bearbeitet wurden. Die Antwort: knapp neunzig Prozent. Meiner Erfahrung nach gilt das überwiegend auch für den Rest der Lehr-, Fall- und Handbücher.

          Eine Frau hätte sich das nicht ausgedacht

          Ob man das merkt? Hmm. Also ich habe ein Lehrbuch – zufällig von einem Mann – in dem der folgende Fall geschildert wird: Student A schlägt Student B in einer Bar zu Boden. Die Freundin des Niedergeschlagenen ist daraufhin so beeindruckt von diesem „animalischen Akt“, dass sie sich dem Angreifer an den Hals wirft und mit ihm nach Hause geht. Und A klaut dem Opfer dann noch ein Kondom aus der Tasche.

          Und ich vermute jetzt einfach mal, dass eine Frau sich das nicht ausgedacht hätte. Kann ich natürlich nicht beweisen. Ist nur so ein Gefühl. Und auch wenn es sicher Wichtigeres gibt, als irgendein Übungsfall in irgendeinem Lehrbuch: Hat das vor der Veröffentlichung nicht mal eine Frau gelesen? Also kannten die keine einzige Frau, die dann hätte sagen können: „Jungs, ich dachte nicht, dass ich das erklären muss, aber: Auch wir Frauen haben uns in den letzten acht Millionen Jahren aus dem Primatenstadium fortentwickelt.“?

          Wie gesagt, das ist eine Lappalie. Und erstmal symptomatisch für gar nichts. Doch nach der Lektüre von sehr, sehr vielen Übungsfällen, kann ich sagen: Ich habe in den letzten Jahren von hunderten Sekretärinnen S, Hausfrauen H und Verkäuferinnen V gelesen. Etwa ebenso oft wie vom Rechtsprofessor P, Notar N und Fabrikbesitzer F. Aber selten andersherum. Und das ist dann vielleicht doch nicht mehr so eine Kleinigkeit. Um mich ganz klar auszudrücken: Im Grunde ist mir egal, ob ausgedachte Menschen in ausgedachten Fällen nun ausgedachte Männer oder ausgedachte Frauen sind. Man könnte das als übertriebene Symbolik abtun. Aber wie gesagt: Die echten Männer, die diese Fachliteratur schreiben, geben in meiner akademischen Welt den Ton an. Und ich kann nicht umhin zu vermuten: Ihr Frauenbild ist – im Großen und Ganzen – ein anderes als das meine.

          Neue und diversere Themen

          Was bedeutet das nun aber für mich und alle anderen in der juristischen Ausbildung? Ich kann nur vermuten, dass ein größerer Frauenanteil die juristische Debatte verändern würde. Dass neue und diversere Themen in den Fokus rücken könnten. Vielleicht würden uns zum Beispiel häufiger fragen, warum der Schwangerschaftsabbruch bis heute im Strafgesetzbuch unter den Straftaten gegen das Leben aufgeführt ist.

          Was ich allerdings nicht vermuten muss, sondern nachlesen kann: Frauen schneiden durchschnittlich schlechter im Staatsexsamen ab als Männer. Obwohl sie mit besseren Abiturnoten ins Studium starten. Besonderes in der mündlichen Prüfung ergibt sich ein signifikanter Unterschied. Allerdings nur, wenn keine Frau in der Prüfungskommission sitzt.

          Lina Kujak (22 Jahre alt) studiert Jura im fünften Semester an der HU Berlin. Beziehungsstatus zum Studienfach: „It's complicated.“ Wüsste gerne, wer 2020 mit Regenschirm und schwarzer Katze unter einer Leiter durchgelaufen ist.

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