Kolumne „Uni live“ : Der Dozent als Bedrohung
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Verringern Evaluationen den Abstand zu den Dozenten? Bild: dpa
Zum Semesterende stehen die Evaluationen an. Im Medizinstudium wird dabei auch auf die Vergabe leistungsorientierter Mittel verwiesen. Warum aber werden die Urteile anonym erhoben? Das hat nicht nur Vorteile.
Am Ende eines jeden Semesters, kurz bevor die Klausurenphase beginnt, bekommen wir eine immer ähnlich lautende E-Mail. Darin wirft man uns das Schlagwort an den Kopf, dass "jedwede Curriculare (sic!) Entwicklung der Evaluation" bedürfe, und fordert uns dazu auf, die Lehrveranstaltungen des sich seinem Ende zuneigenden Semesters zu bewerten. Es folgen Ausführungen, die darauf angelegt scheinen, uns nicht bloß zur Teilnahme zu bewegen, sondern mit aller Macht (und Redundanz) von der Großartigkeit des Verfahrens zu überzeugen: Das Hochschulrahmengesetz schreibe vor, dass eine Bewertung der Qualität der Lehre stattzufinden habe und wir Studenten daran zu beteiligen seien; an die Medizinischen Fakultäten würden „Leistungsorientierte Mittel“ vergeben, die diese ebenfalls „leistungsorientiert“ auf die Kliniken und Institute verteilten, wobei die zugrunde gelegten Leistungen maßgeblich anhand unserer Bewertungen bemessen würden. Man schließt mit der Bitte, unsere Urteile möchten „ausführlich und objektiv“ sein, und der Versicherung, dass „selbstverständlich“ alles anonym bleibe.
Wahrscheinlich sind das der guten Gründe nicht genug, denn in den folgenden E-Mails, die jeweils über den Ablauf einer Klausur informieren, findet sich ein weiteres starkes Argument, eine unserer Generation gegenüber sehr wirkungsvolle, obwohl nach meiner Erfahrung nicht wahr gemachte Drohung: Wenn wir den Nachweis, dass wir an der Evaluation teilgenommen hätten, nicht mit zur Klausur brächten, könnten wir unser Ergebnis im Nachhinein nicht online einsehen.
Chance zum Gegenschlag
Als ich vor einigen Wochen – ohne einen solchen Nachweis in den Händen – zu meiner ersten Klausur erschien, wurde ich sogleich gefragt, ob ich ihn vergessen hätte. Dass ich mich dazu entschlossen haben könnte, dem Fest der Skalen und Freitextfelder fernzubleiben, kam dem Verantwortlichen offenbar überhaupt nicht in den Sinn. Dabei sind doch die Risiken und Nebenwirkungen solcher Vergnügungen offenkundig, stehen uns die Auswüchse der Möglichkeit, Frust und Missmut im Internet freien Lauf zu lassen – befreit von dem zu Anstand und Zurückhaltung mahnenden Blick in das Gesicht des Beurteilten und befreit auch vom eigenen Namen –, tagtäglich vor Augen.
Oft habe ich den Eindruck, manch ein Kommilitone hielte unsere Dozenten für unberechenbare, gemeine und herablassende Wesen, denen mit äußerster Vorsicht zu begegnen sei. Im besten Falle seien wir Studenten ihnen egal, schützen könnten wir uns vor Willkür und Rachsucht der Unantastbaren, denen es ein Leichtes wäre, uns das akademische Leben schwerzumachen, nur, indem wir auf Distanz blieben und unbeteiligt täten.
Wenn möglich, bleiben die ersten Reihen in Hörsälen und Seminarräumen leer. Vielleicht steht hinter dem intensiven Werben für die Möglichkeit, die Lehrtätigkeit der Dozenten zu bewerten, der Glaube, dass sich das Verhältnis verbessere, wenn die Studenten das Gefühl bekämen, sie hätten ihrerseits Macht über diejenigen, von denen sie sich ständig bedroht glaubten. Stattdessen wächst hier wie dort das Misstrauen, verdichtet sich der Verdacht zur vermeintlichen Gewissheit, wir Studenten könnten unsere Meinung nur dann gefahrlos äußern, wenn wir anonym blieben, wittern diejenigen, die sich ungerecht behandelt fühlen – und derer gibt es viele –, ihre Chance zum Gegenschlag und gerät in Vergessenheit, dass auch ohne „Leistungsorientierte Mittel“ kein Dozent gerne vor einem leeren Hörsaal oder wütenden Studenten steht.
Wer sich mit Lob, Ratschlägen, der Schilderung des persönlichen Lernprozesses sachlicher, wenn nötig auch harter, aber gerechter Kritik, Fragen und Hinweisen an der Verbesserung einer Vorlesung, eines Seminars oder Praktikums beteiligen möchte, muss nicht fürchten, daran irgendeinen Schaden zu nehmen, und auch nicht geschützt werden. Ja, die uns verliehene Anonymität schadet sogar seinem Anliegen, nimmt sie den Dozenten doch die Möglichkeit, nachzuhaken, etwas zu erwidern, gar ein längeres Gespräch mit dem Studenten zu führen.
Zwar finden solche Gespräche trotz und neben dem online durchgeführten Evaluationsverfahren statt, aber es sind zu wenige. Und es braucht Mut und den festen Glauben an ein selbstverständliches und gerade darum produktives Miteinander, soll sich daran etwas ändern.
Oskar Mahler (19 Jahre alt) studiert Medizin an der WWU Münster. Wenn er sich nicht gerade in Details verliert, sucht er zwischen Fragen und Antworten nach – ja, was eigentlich?