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Kolumne „Uni live“ : Ein Mangelhaft für das Notensystem

  • -Aktualisiert am

Völlig verwirrend: die Notenvergabe auf dem Weg zum Juristenberuf Bild: Marina Pepaj

Die Noten im Jurastudium und Staatsexamen werden nach einem eigenen, komplexen System verteilt. Rätselhaft für Kommilitonen aus anderen Fächern und Arbeitgeber außerhalb der Juristerei. Was soll das eigentlich?

          3 Min.

          Das Studium der Rechtswissenschaft ist ein Sonderling an den deutschen Universitäten. Ein kurioses kleines Pflänzchen, das zuweilen wunderliche Früchte trägt und mit den Wurzeln noch ganz tief im vorletzten Jahrhundert steckt. Es ist so unverwechselbar traditionsreich elitär, wie kein zweites Studium. Kollektiv wird die Einführung der Jura-Bachelor und -Master ignoriert. Doch nirgendwo zeigt sich die irrsinnige Eigensinnigkeit der Studienrichtung deutlicher als im Bewertungssystem.

          Die Notengebung im Jurastudium funktioniert wie folgt: Auf einer Skala von 0 bis 18 Punkten können theoretisch sieben Notenstufen von ungenügend bis sehr gut erreicht werden. So weit so gut. Allerdings suggeriert diese Einteilung dem unbescholtenen Betrachter, dass es tatsächlich möglich sei, etwa die Bestnote von 18 Punkten zu erreichen. Diese Einschätzung ist falsch! Das sage ich nicht, weil ich verbittert und miesepetrig auf meinen Notenspiegel schaue. 18 Punkte gibt es einfach nicht. Ein paar Beispiele: Die beste Staatsexamensnote Baden-Württembergs erreichte Stefan Thönissen mit 15,66 Punkte, die beste aus Bayern, Philipp Scheibenpflug mit 16,35 Punkten. Nicht dieses Jahr. Sondern jemals.

          Daraus ergeben sich einige Fragen. Fragen wie: Was soll das denn bitte? Und warum? Zunächst einmal: Warum denn eigentlich 18 Punkte? Die formelle Antwort darauf lautet: statt nur befriedigenden und guten Noten, gibt es bei uns noch ein Zwischenspiel, dass sich „vollbefriedigend“ nennt. Im Staatsexamen sind das die Noten 9,00 bis 11,49. Dazu muss man wissen, dass sich ab neun Punkten im Staatsexamen der Jura-Primus vom Mittelmaß scheidet, denn mit mindestens neun Punkten hat man ein sogenanntes „Prädikatsexamen“. Wer das erreicht, kann sich später so ziemlich jeden Job aussuchen, den die klassische Jurabranche so anzubieten hat. Das Prädikatsexamen öffnet Tür und Tor zu den großen Wirtschaftskanzleien und zum Gericht. Dennoch beantwortet das nicht wirklich die Frage, warum es ausgerechnet 18 Punkte sein müssen und nicht 15 oder 5 oder 25.

          Mindestens ein Viertel schafft nicht mal 4 Punkte

          Vor allem verwirrt diese Skala, wenn man bedenkt, dass die geneigte Juraabsolventin mit 4 Punkten schon bestanden hat. Die Hürde, 4 Punkte zu erreichen, ist dementsprechend hoch. Die Durchfallquote im Staatsexamen ist von Jahr zu Jahr und Bundesland zu Bundesland recht verschieden, liegt aber im Durchschnitt bei 25 bis 30 Prozent. Dass niemand 17 oder 18 Punkte bekommt, ist ja nicht verwunderlich, wenn mindestens ein Viertel nicht einmal 4 schafft. Wie irre gut müsste jemand sein, um eine viereinhalbmal so gute Leistung zu erbringen? Aber selbst wenn es dieses Wunderkind wirklich gäbe, das sogar nach diesen utopischen Ansprüchen 18 Punkte theoretisch verdienen würde – es würde sie nicht bekommen. Denn die Korrektur und Notenvergabe wird nun mal von Menschen vorgenommen. Menschen die selbst keine Ahnung haben, wie eine 18 Punkte Klausur überhaupt aussehen soll. Weil es die nicht gibt.

          Nun könnte man das als ein Scheinproblem abtun. Was soll's, dann ist das halt ein komisches System. Kein Grund, für Rumgejammer. Ich aber würde sagen, das Bewertungssystem hat direkte Auswirkungen auf Jurastudierende. Zunächst einmal wird dadurch der Bewertungsrahmen schwammiger. Eine sehr gute Leistung wird in der Regel nur mit einem gut (11,50 - 13,99 Punkte) oder vollbefriedigend bewertet. Die Grenzen verlaufen dabei fließend und erscheinen oft willkürlich. 

          Aber auch fachübergreifend wird die 18 Punkte-Skala zum Problem. Denn Leistungen im Fachbereich Rechtswissenschaften sind einfach nicht vergleichbar mit denen anderer Studiengänge. Während in einigen Fächern ein Abschluss mit 2,0 schon als wahre Schande gilt, würden sich die meisten Jurastudierenden darum reißen. Woher sollen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber das wissen, wenn sie mit Jura nichts am Hut haben? Und wer sich mit dem in Deutschland oft verlachten Jura-Bachelor für einen Master im Ausland bewirbt, muss dort unter Umständen mit Studierenden um einen Studienplatz konkurrieren, die naturgemäß viel bessere Noten haben. Aber was wiegen schon solche kleinen Unannehmlichkeiten gegen echte deutsche Tradition?

          Lina Kujak (22 Jahre alt) studiert Jura im sechsten Semester an der HU Berlin. Beziehungsstatus zum Studienfach: „It's complicated.“ Wüsste gerne, wer 2020 mit Regenschirm und schwarzer Katze unter einer Leiter durchgelaufen ist.

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