Kolumne „Uni live“ : Ortswechsel
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Die Sachen sind gepackt - und natürlich kommen jetzt Zweifel Bild: Lucas Bäuml
Im Studium gibt es einen Moment, in dem man sich zugleich alt und routiniert fühlen kann und neu und unerfahren: Wenn der Bachelor endet, der Master noch nicht begonnen hat und dafür noch einmal ein kompletter Neuanfang bevorsteht.
Ich wollte schon immer in einer großen Stadt studieren. Durchzechte Nächte in denen Studis sich treiben lassen können, überall interessante Menschen und Tausende von Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung. Das war zumindest meine Idealvorstellung von Millionenstädten wie Berlin oder Köln. In meiner Uni-Stadt hingegen konnte man dem eigenen Professor um kurz nach eins in der Lieblingskneipe entgegen stoplern, kannte jedes Restaurant der Stadt und traf auf WG-Partys immer dieselben Leute. Vier Jahre lang habe ich an solch einem Ort gelebt, mich sehr wohlgefühlt und dennoch: Ich wollte etwas anderes.
Der Beginn des Masterstudiums kam für meinen ersehnten Ortswechsel wie gerufen. Schließlich würden dort viele Studis neu anfangen und teilweise ebenfalls sogar extra umziehen. Dementsprechend schien die Wahrscheinlichkeit schnell Anschluss zu finden relativ hoch.
Und überhaupt: Kein anderer Zeitpunkt im Leben würde sich jemals mehr so gut dafür eignen, ein neues Leben zu beginnen. Stundenlang informierte ich mich also über verschiedenste Studiengänge, wägte Vor- und Nachteile der damit verknüpften neuen Wahlheimat ab und bewarb mich schließlich. Voller Vorfreude fieberte ich auf den Tag hin, an dem die Bescheide verschickt werden sollten und schließlich war sie da – die Zulassung für mein Masterstudium in einer Millionenstadt.
Pendlerdasein zum WG-Casting
Um nicht obdachlos in mein neues Leben starten zu müssen, schrieb ich jede Menge WGs an. Wochenlang rannte ich von einem Besichtigungs-Casting zum nächsten, pendelte zwischen meiner neuen und alten Heimat hin und her und zahlte Unmengen für Bahn-Tickets.
Bei den WG-Terminen ratterte ich Smalltalk-Floskeln herunter, beantwortete jede noch so seltsame Frage über mein Privatleben, wunderte mich mehr als einmal, wie viel man für einen neun Quadratmeter großen Schuhkarton zahlen konnte und musste feststellen, dass Wohnungssuche in einer großen Stadt alles andere als spaßig war. Doch schließlich, nach fast zwei Monaten erbittertem Kampf auf dem Wohnungsmarkt, erhielt ich eine Zusage für ein Zimmer. Somit stand meinem neuen Leben kaum mehr etwas im Weg.
Doch je näher Studienbeginn und Umzug in die neue Stadt rückten, desto nervöser wurde ich. Plötzlich sah ich mein altes Leben mit anderen Augen: Meine Mitbewohner, die die letzten Jahre mehr Familie als Freunde waren, meine besten Freunde aus dem Studium: Wir alle hatten uns gemeinsam von unsicheren Erstsemestlern in selbstbewusste Bachelor-Absolventen verwandelt. Nervenzusammenbrüche vor der viel zu schweren Klausur, Lernsessions und Kuchenpausen im Lieblingscafé, der Döner an der einen Ecke in der Innenstadt, der Park in dem ich jahrelang laufen war. So viele Erinnerungen hingen wie sanfte Schleier in meiner alten Stadt. So viele Emotionen hielten mich zurück, obwohl ich eigentlich nach vorne blicken wollte.
Was ist, wenn ich keine neuen Freunde finde? Wenn sich das Studium als Reinfall entpuppt oder ich mich in der neuen ungewohnten Umgebung schlicht nicht wohlfühle? Was ist, wenn ich mich in der neuen Stadt eben nicht treiben lassen kann, sondern einfach nur untergehe? All diese Gedanken geisterten wenige Tage vor meinem Umzug in meinem Kopf umher und hielten meine Vorfreude plötzlich ziemlich im Zaum.
Ein Plan gegen die Ängste
Doch schließlich schob ich einen Riegel vor meine Horrorszenarien und schrieb mir selbst einen Plan, der meine Ängste vertreiben und mir meinen Einstieg ins großstädtische Leben erleichtern sollte. Zunächst nahm ich mir vor, mir ein Hobby zu suchen, um dort auch außerhalb der Uni mit Leuten in Kontakt zu kommen. Parallel wollte ich einen Nebenjob finden, um finanziell abgesichert zu bleiben.
Zuletzt sprach ich mit Freunden und Familie. Alle bestärkten mich in meiner Entscheidung umzuziehen und erinnerten mich daran, dass mein bevorstehender Neuanfang schon Parallelen zu meiner Vergangenheit hatte: Ich war auch für mein Bachelorstudium in eine neue Stadt gezogen. Und auch dort hatte ich es geschafft, nicht nur eine Wohnung und Freunde zu finden, sondern mir ein zu Hause aufzubauen. Also würde ich es auch wieder schaffen. Auf zu neuen Ufern!
Lina von Coburg (22 Jahre alt) studiert im Bachelorstudiengang Publizistik in Mainz. Neben ihrem Studium schreibt sie Gedichte, philosophiert über das Leben und macht sich Gedanken darüber, wie man als angehende Journalistin bestehen kann.