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Kolumne „Uni live“ : Eine Frauen-WG, Shirin David und der Feminismus

  • -Aktualisiert am

In dieser Fraun-WG herrscht eine höhere Ordnung Bild: Maike Weisenburger

Ist Shirin David nun eine Feministin oder macht sie sich zum Objekt? Unsere Autorin besucht eine Frauen-WG, lauscht den Diskussionen, wird aber an entscheidender Stelle vom Drang zur Nahrungssuche abgelenkt.

          3 Min.

          Da die Türklingel ohnehin nicht funktioniert, klettere ich durchs offene Fenster in die Küche der WG und werde von einer Atmosphäre begrüßt, die man in Anlehnung an die leicht verbrannt riechende Luft im Raum wohl als erhitzt bezeichnen könnte. Das benutzte Geschirr stapelt sich neben dem Waschbecken am anderen Ende der Küche, was zum vollgestopften, lebendigen Charme des Raumes beiträgt. Das Regal neben mir ist von unten bis oben vollgestopft mit gemeinschaftlich verwendeten Nahrungsmitteln. Jeder Zentimeter der niedrigen Wände ist behängt mit Bildern von gemeinsamen Ausflügen, von Konzerten, von Fahrradtouren, vom Bouldern. Wer diese Wohnung betritt, betritt eine Gemeinschaft.

          Alle drei Mitbewohnerinnen haben sich zum Quatschen in der Küche zusammengefunden. Jemand hat nämlich das neue Video von Shirin David laufen lassen, in dem diese sich selbstsicher, aber auch ausgesprochen freizügig zeigt. Das spaltet die Gemüter innerhalb der Frauen-WG: „Ich mag diesen Mean-Girl-Feminismus nicht“, erklärt eine der Mitbewohnerinnen, die neben mir gerade einige Blumen und versehentlich auch die neugierige Katze der Nachbarn auf dem Fensterbrett gießt. Die Diskussion geflissentlich vermeidend, beschließe ich, dem leicht verbrannten Geruch auf den Grund zu gehen und plane eine möglichst unauffällige Route zum Ofen am anderen Ende des Raumes.

          „Es ist mir egal, ob du meinst, Shirin passe sich in ihren Videos mit ihren freizügigen Outfits und ihrer Art zu tanzen an bestehende Schönheitsideale an. Wenn Feminismus uns Frauen die Freiheit zur Authentizität geben soll, warum verlangen wir Feministinnen dann andauernd voneinander, uns für unsere Klamotten und Lebensentwürfe zu rechtfertigen?“, fragt sie in die Runde, während ich versuche, auf meinem Weg zum Backofen unter den Küchentisch in der Mitte des Raumes zu kriechen. „Wenn wir die ganze Zeit nichts anderes tun, als andere Frauen im Namen des Feminismus anzugreifen, dann ist das kein Oberbegriff für Diskussionen über Femininität, sondern ein exklusiver Klub, in den man nur reinkommen kann, wenn man cool genug ist und die richtigen Klamotten trägt!“, erläutert sie und ergänzt nach dem gescheiterten Versuch, die frisch gegossene Katze zu beruhigen: „Und was deinen Vorwurf angeht, Shirin mache sich selbst durch ihre Ästhetik für den Rezipienten zum Objekt: Warum liegt es eigentlich immer in der Verantwortung der Frau, sich gefälligst so zu benehmen, dass sie nicht objektiviert wird? Wie viele Klamotten muss man denn mindestens anhaben, um den Status des Subjekts so großzügig überreicht zu bekommen? Menschlichkeit ist uns allen inhärent, das ist keine Trophäe, mit der man für gutes Benehmen temporär belohnt werden kann.“

          „Klappe halten ist auch 'ne Meinung haben!“

          Die zweite Mitbewohnerin sitzt im Schneidersitz auf ihrem Stuhl am Küchentisch und malt mit dem Finger Smileys in die Krümel auf dem Teller vor ihr. Sie erwidert nachdenklich: „Aber eben das, was hier immer als Wahlfreiheit deklariert wird, perpetuiert nur bestehende Zwänge, die schon ewig existieren und schon genauso ewig Schaden anrichten. Genau die Freiheit, die von Feministinnen so bitter erkämpft wurde, verwendet die Rapperin jetzt, um verfestigte Schönheitsideale nicht etwa infrage zu stellen, sondern um diese zum eigenen Vorteil zu nutzen.“ Kurz wird zusammen über die beleidigte Katze gelacht, während ich auf halbem Weg vom Fenster zum Ofen versuche, mich im Schatten des mannshohen Kühlschranks neben der Küchentür zu tarnen.

          Die Mitbewohnerin am Fenster antwortet: „Wieso verlangen wir beiläufig von irgendwelchen Frauen, die bestehenden Schönheitsideale zu demontieren?“ Und die Mitbewohnerin am Küchentisch entgegnet: „Ich bestehe ja nicht darauf, dass Shirin im Alleingang alle Ideale beiseite schafft und ab Samstag, 12:30 Uhr, die neue Ära der Körperneutralität einleitet. Ich finde nur einfach, dass man Frauen, die oppressive Normen zu ihrem Vorteil nutzen, nicht auch noch feministisch-wohlwollend auf die Schulter klopfen muss.“

          „Ich finde, ihr redet irgendwie aneinander vorbei“, schaltet sich die dritte Minibewohnerin ein, die am Herd für alle Tee kocht. „Wie ich das sehe, ist die Art und Weise, wie Shirin David sich präsentiert, eine von tausend validen Facetten von Femininität. Und es wäre wichtig, ganz viele verschiedene Entwürfe von Weiblichkeit medial zu verarbeiten, ohne irgendwelche davon zu diskreditieren, findet ihr nicht? Femininität beinhaltet auf jeden Fall Frauen, wie Shirin David. Aber eben auch sportliche Frauen, Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen, intellektuelle Frauen, Frauen, die sich androgyn oder maskulin präsentieren und Transfrauen. Ganz zu schweigen natürlich von Frauen, die eben nicht weiß und blond sind.“ Unterdessen bin ich am Ofen angelangt.

          „Man muss die tausend anderen Entwürfe nur zeigen und sich gegebenenfalls kritisch, aber empathisch damit auseinandersetzen. So wird Shirins Art, eine Frau zu sein, eben nur zu einer unter tausend validen Varianten“, sagt sie, gießt ihren Mitbewohnerinnen Tee ein, während ich entzückt am leicht verbrannten Bananenbrot aus dem Ofen rieche. „Und dieses eine Ideal der Schönheit, über das wir schon so lange herumdiskutieren, verliert unter tausend anderen seine überproportionale Wirkung“, schließt sie ihre Überlegung ab und hält bei meiner Tasse plötzlich inne: „Was sagst du eigentlich dazu?“ Herausfordernd ergänzt die Mitbewohnerin am Fenster: „Klappe halten ist auch 'ne Meinung haben!“ Ich beiße in mein Bananenbrot, um Zeit zu gewinnen. „Das steht da schon seit mindestens zwei Wochen“, sagt die Mitbewohnerin am Küchentisch trocken.

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