Kolumne „Uni live“ : Kritisches Denken müssen Studierende schon selbst lernen
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Kein Platz zur Wiederholung von Altbekanntem: der Hörsaal Bild: dpa
Analysieren, die Welt und sich selbst hinterfragen, neugierig bleiben: All das sollen Studenten an der Uni lernen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Wenn man nämlich kein Fachidiot werden will, muss man sich selbst darum kümmern.
Bereits während der Schulzeit habe ich mich über Menschen aufgeregt, die nur Lehrern nachplapperten und genau das von sich gaben, was sie hören wollten. Da endete ihre Intelligenz. Zu meinem Schrecken erlebte ich das manchmal auch an der Uni. In einem Seminar zur Internationalen Konfliktforschung sollten wir uns mit Konfliktherden beschäftigen und wie diese zustande kämen. Theorien und Geschehnisse wurden schlicht wiedergegeben, Jahreszahlen stumpf zitiert, Personalien lustlos runtergerattert. Als würde man in der Schule ein Gedicht aufsagen. Nur hin und wieder nahm jemand eine Gegenposition ein. Dominante Narrative schienen wie in Stein gemeißelt.
In Deutschland sind dem Statistischen Bundesamt zufolge aktuell mehr als 2,9 Millionen Studierende eingeschrieben. 20.359 Studiengänge gibt es. Alle sollen einen auf irgendetwas vorbereiten - auf einen Beruf oder wenigstens auf ein Berufsfeld, idealerweise auch auf das Leben. Wie sollen Unis das schaffen? Indem sie jungen Menschen Methoden vermitteln, mit denen sie analysieren, Zusammenhänge erkennen und Entwicklungen einordnen können. Eine Fähigkeit, die manchmal auf der Strecke bleibt, ist: kritisch und interdisziplinär zu denken.
Kritisches Denken ist bei Studierenden schwach ausgeprägt
Eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat letztes Jahr ergeben, dass Studenten nur in geringem Maße zu kritischem Denken fähig seien. Wirtschaftswissenschaftler kommen am schlechtesten weg, Geistes- Natur- und Sozialwissenschaftler schneiden dagegen besonders gut ab. Auch nimmt jene Fähigkeit im Verlauf des Studiums nur wenig zu. Paradox - wo man doch annehmen darf, dass gerade dafür die Unizeit da ist: um auf den in der Schule vermittelten Grundlagen aufzubauen, Dinge zu hinterfragen und sich auch seiner eigenen Voreingenommenheit bewusst zu werden.
Natürlich könnte man die Universitäten dafür verantwortlich machen, dass Denkkompetenzen unzureichend vermittelt werden. Es muss aber auch bedacht werden, dass Eigeninitiative und Ambiguitätstoleranz entwickelt werden müssen. Es ist wichtig, sich aktiv mit Informationen auseinander zu setzen, die einem eventuell unangenehm sind und das angreifen, was wir zu wissen glauben. Oder Menschen zuzuhören, die nicht nur eine andere Sichtweise haben, sondern auch möglicherweise Meinungen vertreten, die für uns unhaltbar scheinen. Nur so entwickeln sich kritische und offene Persönlichkeiten, die in der Lage sind, Dialoge zu führen und Lösungen zu finden. Anstatt sich also nur mit bekannten Themen zu beschäftigen, die auf dem eigenen Studienplan stehen, sollte jeder Studi wenigstens einmal ausscheren und fachfremde Seminare und Veranstaltungen besuchen, anstatt sich in Vorlesungen einfach nur berieseln zu lassen. Jeder sollte neue Informationen auf sich einwirken lassen und auch etwas machen, was überhaupt nicht zu einem passt.
Kritisches Denken als Schlüssel zur Innovation
Dass es in Zukunft besonders relevant sein wird, sich mit dem kritischen Denken auseinanderzusetzen, zeigt die Diskussion um neueste KI-Entwicklungen. Die einen behaupten, Tools wie ChatGPT könnten ein Hindernis in der Bildung werden, da Studenten nun nicht mehr recherchieren und Zusammenhänge verstehen müssten, um eine Hausarbeit anzufertigen. Andere wiederum sehen in technischen Erneuerungen eine Chance: Lästige Aufgaben könnten die Maschinen übernehmen und wir uns endlich auf die kreativen und anspruchsvollen Dinge konzentrieren. Beides hat bestimmt seine Berechtigung. Es stellt sich aber die Frage, wie junge Menschen ChatGPT und Co. effizient nutzen können sollen, wenn sie die Voraussetzungen für eine kritische Auseinandersetzung mit komplexen Themen nur im ungenügenden Maße besitzen.
Kritisch und interdisziplinär zu denken bildet die Grundlage für einen offenen Geist. Wenn man nicht gerade in einem langweiligen Kurs sitzen muss, sollte man die Chance nutzen und Fragen stellen, Kritik äußern und auch annehmen. Das ist nicht nur für die eigene Entwicklung wichtig, sondern auch für das zukünftige Arbeitsleben, in dem man verschiedenen Daten und Informationen interpretieren und für sich anwenden können muss. Glücklicherweise kann man das leicht lernen, wenn man es nur möchte.