Eurac Research : Mumien und noch viel mehr
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Speerspitze der Südtiroler Wissenschaft: Eurac Research in Bozen Bild: Eurac
Eurac Research ist das Flagschiff der Südtiroler Wissenschaftslandschaft. Es beherbergt nicht nur die weltweit führende Mumienforschung.
Es steht an der Drususbrücke über dem Talferbach, und viele Südtirol-Urlauber kennen das Gebäude mit dem markanten Turm vermutlich ohne zu wissen, was hier geschieht. Gebaut wurde es einst für die faschistische Jugendbewegung Gioventù Italiana del Littorio (GIL), genauer für die in dieser Bewegung organisierten Mädchen. In städtebaulich exponierter Lage leuchtet es als Wahrzeichen in historisch korrektem Pompejanischrot. Vor zwanzig Jahren entstand ein Erweiterungsbau, in dem der Grazer Architekt Klaus Kada mustergültig zeitgenössischen Standard und historische Bausubstanz verband, ohne letztere anzutasten. Man sieht dem Gebäude auch im Inneren die starke Beanspruchung nicht an, offensichtlich geht man sorgsam damit um.
Das ehemalige GIL-Haus ist der Stammsitz der Europäischen Akademie für Angewandte Forschung und Fortbildung Bozen, kurz Eurac Research. Diese feiert in diesem Jahr dreißigsten Geburtstag, wurde sie doch 1992 als privatrechtliche Vereinigung gegründet, an der Spitze des Gründerteams der damalige Landeshauptmann, Luis Durnwalder. Zu den Vorbildern zählte die deutsche Max-Planck-Gesellschaft. Anfang 1993 nahm die Akademie die Arbeit auf, damals noch in der Altstadt. Aus den zwölf Mitarbeitern der Anfänge sind heute sechshundert geworden, die in elf Instituten forschen. Die Grundfinanzierung von aktuell sechsundzwanzig Millionen Euro kommt von der Autonomen Provinz Bozen, mit einer hohen Drittmittelquote von dreiundfünfzig Prozent summiert sich das derzeitige Budget auf fünfundfünfzig Millionen Euro.
Rund die Hälfte der Wissenschaftler arbeitet mittlerweile in Labors des Technologieparks NOI im Süden der Stadt, die Zentrale beherbergt Verwaltung, Audimax und die Abteilungen Human- und Rechtswissenschaften. In der ehemaligen Turnhalle residiert großzügig die Bibliothek. Geforscht wird unter anderem über die Entwicklung des Alpenraums, Biomedizin, Regionalentwicklung, Bergrettung, erneuerbare Energien, Erdbeobachtung, aber auch angewandte Linguistik, Minderheitenrechte und Föderalismus. Ein Aushängeschild ist das Institut für Mumienforschung, dem der Münchner Albert Zink vorsteht: Seit dem Fund des Eismenschen Ötzi ist Boen eine Welthauptstadt der Mumienforschung, Zink ein gefragter Experte.
Aufarbeitung der Landesgeschichte
In den Anfangsjahren waren nur Italiener und Deutsche hier tätig, heute kommen die Forscherinnen und Forscher aus sechsundvierzig Ländern. Insofern, sagt Hannes Obermair, sei die Eurac auch der Beweis, wie sich „eine Region von sich selbst emanzipiert hat“. Obermair, 1961 in Bozen geboren, ist Historiker, Archivar und Ausstellungsmacher. Als Berater hat sein Wort auch in der Landespolitik Gewicht, an der Konzeption des Dokumentationszentrums unter dem faschistischen Siegesdenkmal war er beteiligt. Als Philosopher-in-Residence der Eurac ist er bei interdisziplinären Fragestellungen gefragt. Auch weiß er aus langer Erfahrung, wie groß der Nachholbedarf in Sachen Aufarbeitung und Kontextualisierung in Südtirol wie auch in Italien ist.